Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) dürfte sich nach Einschätzung des Chefvolkswirts der Commerzbank, Jörg Krämer, künftig eher an Preisniveaustabilität als wie bisher an einem Inflationsziel orientieren. Das hätte dramatische Auswirkungen für die Geldpolitik, sagte Krämer beim ersten geldpolitischen Forum der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) in Frankfurt.
Bei der Verfolgung eines Inflationsziels - im Falle der EZB "unter, aber nahe 2 Prozent" - würde die Zentralbank ihre Geldpolitik entsprechend normalisieren, wenn die Inflation dieses Ziel zu erreichen verspricht. Bei einer Preisniveausteuerung würde sie dagegen versuchen, eine längere Verfehlung des Inflationsziels nach unten durch ein Überschießen im Nachgang auszugleichen, wie Krämer erläuterte.
"Die Folge ist, dass die Zinsen viel länger niedrig bleiben - vor allem dann, wenn wir bereits an der Nullzinsgrenze sind", sagte Krämer. Dass die Zinsen dort heute überhaupt sind, liegt Krämer zufolge aber auch am Verhalten der EZB selbst. "Das wird klar, wenn man bedenkt, dass sie 30 Prozent aller Bundesanleihen hält", sagte Krämer.
In der EZB dürfte demnächst eine Diskussion über die geldpolitische Strategie beginnen, wie sie seit 2003 feststeht: Das mittelfristige Erreichen von knapp 2 Prozent Inflation. Allerdings gehen die Meinungen darüber, in welcher Weise die Strategie geändert werden sollte, weit auseinander. Von deutscher Seite sind vor allem Vorschläge zu hören, die es der EZB ermöglichen würden, ihre Geldpolitik zumindest nicht weiter zu lockern.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher hatte kürzlich ein Inflationszielband von 1 bis 3 Prozent vorgeschlagen, das nicht mehr mittel-, sondern langfristig einzuhalten wäre. Das hätte laut Fratzscher den Vorteil, dass die EZB stärker Belange der Finanzstabilität berücksichtigen könnte.
Jörg Krämers Idee ist eine ähnliche. "Die echte Alternative zur Inflationssteuerung ist nicht eine Politik der Preisniveaustabilisierung, sondern eine der umfassenden Stabilisierung, die auch die Finanzstabilität berücksichtigt", sagte er. Ermöglichen soll der EZB dies ein Inflationszielband von 1-1/4 bis 2-1/4 Prozent. "Jetzt haben wir ein Punktziel und das suggeriert eine Präzision, die eine Zentralbank nicht liefern kann."
Allerdings erwartet Krämer nicht, dass die EZB diesen Vorschlag aufgreifen wird. "Ich rechne eher damit, dass die EZB auf eine Strategie der Preisniveaustabilisierung übergehen wird", sagte er. Sie spreche das nur nicht offen aus, sondern spreche von einer "Symmetrie des Inflationsziels". "Letzten Endes hilft das den Finanzministern der hoch verschuldeten Länder", konstatierte der Commerzbank-Chefvolkswirt.
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October 31, 2019 07:59 ET (11:59 GMT)
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