Von Andrea Thomas
BERLIN (Dow Jones)--Ungeachtet des andauernden Streits um die Grundrente zieht die Bundesregierung in ihrer Halbzeitbilanz eine positive Bilanz der vergangenen 19 Monate. "Zusammen mit den Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD haben wir viel erreicht und umgesetzt - aber es bleibt auch noch viel zu tun", bilanzierte die Bundesregierung die Arbeit in einem am Mittwoch veröffentlichten 83-seitigen Papier.
"Wir haben im Koalitionsvertrag viele konkrete Vorhaben miteinander vereinbart, mit denen wir den neuen Aufbruch für Europa, die neue Dynamik für Deutschland und den neuen Zusammenhalt für unser Land erreichen wollen."
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich zufrieden mit der Arbeit der Koalition. "Von 300 großen Maßnahmen, die wir uns vorgenommen haben, haben wir zwei Drittel auf den Weg gebracht oder schon vollendet", sagte Merkel bei einem Pressestatement. "Das zeigt, dass wir arbeitsfähig und arbeitswillig sind."
Für Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) gab die Regierungsarbeit der vergangenen Monate alles zusammen "eine ganz profunde Bilanz ab". Die politische Bewertung der Regierungskoalition liegt nun in den Händen Parteien CDU, CSU und SPD. Die Gremien werden sich am Montag treffen und die Halbzeitbilanz beraten. Die SPD will dann Anfang Dezember auf ihrem Parteitag über eine Fortsetzung der großen Koalition abstimmen.
Finanzielle Erleichterungen und Klimagesetze
In dem Papier umreißt die Regierung auch, was die kommenden Monaten noch bringen werden. Dazu zählen im Kapitel zur Wirtschafts- und Finanzpolitik, dass Investitionen erhöht und der Solidaritätszuschlags weitgehend abgeschafft wird. Auch würden weitere Erleichterungen in Form eines höheren Kindergelds und höherer Kinderfreibetrags eingeführt.
Wirtschaft und Bürger müssten sich zudem auf die Verringerung von Kohlendioxidemissionen einstellen. Auch soll Deutschland Leitmarkt für Elektromobilität werden. Wichtiges Vorhaben für die kommenden Monate wird die Umsetzung des Klimaschutzpakets sein, mit dem Deutschland seine Klimaschutzziele einhalten will.
Besonders in der SPD hat es in den vergangenen Monaten zunehmend Unruhe über den Verbleib in der großen Koalition gegeben. Dies machte sich jüngst an dem Streit um die Einführung einer Grundrente für Geringverdiener fest. Hier beharrt die Union auf eine harte Einkommensprüfung bei potentiellen Empfängern einer Grundrente, damit nur diejenigen eine Aufstockung ihrer gesetzlichen Rente nach 35 Beitragsjahren bekommen, die es nötig haben. Die SPD hat sich hingegen eine Bedürftigkeitsprüfung ausgesprochen, da diese zu bürokratisch sei und mit der Grundrente eine Lebensleistung anerkannt werden soll.
Union will Überarbeitung des Koalitionsvertrags
Allerdings beteuerte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider am Mittwoch, dass eine überwältigende Mehrheit der SPD-Fraktion der großen Koalition eine gute Arbeit attestiert. "Das Stimmungsbild ist, dass 90 Prozent der Fraktion mit dem, was sie beschlossen haben, auch zufrieden sind", sagte Schneider. Allerdings betonte er, dass für die Fortsetzung der großen Koalition eine Einigung beim Streitthema Grundrente wichtig sei. Dazu soll der Koalitionsausschuss am Sonntag tagen.
Auch innerhalb der Union sind nicht alle zufrieden mit dem Zustand der großen Koalition. Der stellvertretende Fraktionschef Carsten Linnemann will, dass nach den Parteitagen der CDU Ende November und SPD Anfang Dezember sich die drei Koalitionsparteien zusammensetzen und den Koalitionsvertrag überarbeiten. "Da muss mal einer den Reset-Knopf drücken, damit wir mal wieder ein neues Aufbruchsignal bekommen für dieses Land. So jedenfalls kann es nicht weitergehen", sagte Linnemann am Dienstag am Rande eines Treffens der Unionsfraktion.
Mitarbeit: Andreas Kißler
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November 06, 2019 07:12 ET (12:12 GMT)
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