Von Manuel Priego Thimmel
FRANKFURT (Dow Jones)--An den Börsen scheint es kein Halten nach oben mehr zu geben. Schon machen Kursziele von 15.000 Punkten im DAX die Runde. Keine Frage, die fundamentale Lage hat sich in den vergangenen Wochen deutlich verbessert: Ein "harter" Brexit ist von den Finanzmärkten mehr oder weniger zu den Akten gelegt worden. Daneben setzen die Anleger auf eine längere Waffenruhe im US-chinesischen Handelsstreit, möglicherweise garniert mit der Rücknahme von Strafzöllen. Hauptproblem ist die hohe Bewertung des DAX.
Man mag es Außenstehenden nachsehen, dass die Börse für sie auf den ersten Blick wenig Sinn hat. Am kommenden Donnerstag werden wir erfahren, ob die deutsche Wirtschaft auch im dritten Quartal geschrumpft ist. Ist dies der Fall, wäre dies der zweite Rückgang in Folge. Damit wäre die Definition einer Rezession erfüllt. Dennoch handelt der DAX am Freitagvormittag mit über 13.200 Punkten nur wenige Zähler unter seinem Allzeithoch bei 13.560. Wie ist das möglich?
An der Börse wird die Zukunft gehandelt
An der Börse wird die Zukunft gehandelt. Und die Anleger setzen darauf, dass sich das wirtschaftliche Klima in Deutschland in den kommenden Monaten wieder verbessern wird. Gut möglich, dass genau aus diesem Grund die bereits am Dienstag zur Veröffentlichung anstehenden ZEW-Konjunkturerwartungen bei den Börsianer größere Beachtung finden als die BIP-Zahlen. Beim ZEW rechnet die Commerzbank für November mit einer starken Verbesserung auf plus 5 von zuvor minus 22,8.
Hintergrund für den um sich greifenden Wachstumsoptimismus sind die in den vergangenen Wochen deutlich gefallenen Makrorisiken für die Märkte. Noch ist weiter vollkommen unklar, ob Großbritannien letztlich aus der EU ausscheiden wird oder nicht, allerdings glauben die Anleger nicht mehr an einen ungeregelten Austritt - und das ist aus Sicht der Unternehmen, die sich mit ihren Investitionen zurückgehalten haben, wie auch aus Marktsicht entscheidend.
Börsianer auf dem falschem Fuß erwischt
Daneben gibt es deutliche Fortschritte im US-chinesischen Handelsstreit. Zwar ist nicht davon auszugehen, dass ein Phase-1-Abkommen grundlegende Streitpunkte, wie etwa den Schutz geistigen Eigentums oder forcierte Technologietransfers, lösen wird. Das Abkommen wird vielmehr auf eine Waffenruhe vermutlich bis zu den US-Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr in Kombination mit der Rücknahme einzelner Strafzölle hinauslaufen. Aber auch dies wäre auch Marktsicht zunächst vollkommen ausreichend.
Der politische Klimawandel hat die Anleger auf dem falschen Fuß erwischt und hat Folgen. "Das Tempo der Aufwärtsbewegung setzt jetzt viele Investoren unter Druck. Jene, die leerverkauft haben, müssen im Verlust eindecken. Andere, die noch nicht investiert sind, müssen den Kursen nachlaufen", beschreibt CMC Markets das Dilemma der Anleger. Kein Wunder, dass im Handel die Einstellung des Allzeithochs im DAX nur noch als Formsache gilt. Bereits jetzt machen Kursziele von 15.000 Punkten in den kommenden Monaten die Runde.
Steigende Anleiherenditen könnten zum Problem werden
Aber auch an den Börsen wachsen die Bäume nicht ewig ohne fundamentale Untermauerung in den Himmel. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von fast 16 ist der DAX weit über dem langfristigen Schnitt von rund 12 bewertet. Zwar sind höhere DAX-Bewertungen angezeigt angesichts einer historisch einmalig lockeren Geldpolitik der großen Notenbanken. Das in der Zwischenzeit erreichte Bewertungsniveau erscheint allerdings zu hoch.
Einer der Gründe, der immer wieder zur Rechtfertigung der hohen Multiples genannt wird, ist eine DAX-Dividendenrendite von 3,2 Prozent, der eine Rendite von minus 0,25 Prozent bei zehnjährigen Bundesanleihen gegenübersteht. Blickt man aber in die USA - und noch immer werden an der Wall Street die weltweiten Börsenkurse gemacht - ist das Argument aber nicht mehr so stichhaltig, rentieren zehnjährige US-Anleihen mittlerweile doch wieder bei fast plus 2 Prozent. Und die Anleiherenditen dürften weiter steigen bei besseren Wirtschaftsdaten.
Abwärtsrevisionen der Gewinnschätzungen dauern an
Auch sind die Unternehmensanalysten trotz der Hoffnung auf bessere Zeiten weiter eifrig dabei, ihre Gewinnschätzungen nach unten zu revidieren. Das für 2019 erwartete Gewinnwachstum ist laut der Commerzbank gerade auf minus 5 Prozent gefallen, und das für 2020 (noch) erwartete Gewinnwachstum von 14 Prozent dürfte viel zu hoch sein: "Denn das weiter enttäuschende Wachstum der Geldmenge M1 spricht gegen ein baldiges spürbares Anziehen der Nachfrage in China", warnen die Analysten.
Die Commerzbank rechnet denn auch mit einem baldigen Auslaufen der jüngsten Rally. Auf welchem Niveau der DAX nun genau fair bewertet ist, erscheint eine akademische Frage, die ohnehin niemand mit Sicherheit wird beantworten können angesichts der historisch einmaligen Liquiditätsflutung der Märkte durch die Zentralbanken. Fest steht: Sollten die Gewinnerwartungen tatsächlich weiter fallen, wäre der DAX bei gleichen Kursen sogar noch teuerer. Um den DAX auf ein solideres Fundament zu stellen, täte eine Konsolidierung gut.
Kontakt zum Autor: manuel.priego-thimmel@wsj.com
DJG/mpt/cln
(END) Dow Jones Newswires
November 08, 2019 07:03 ET (12:03 GMT)
Copyright (c) 2019 Dow Jones & Company, Inc.