Noch immer kommt rund jeder vierte Fernzug zu spät, beklagen sich Fahrgäste über geschlossene Bordbistros und fehlende Reservierungsanzeigen. Aber im Berliner Bahntower bestimmte am Montag wieder der Machtkampf in der Chefetage die Tagesordnung des Aufsichtsrats. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) dringt auf ein Ende des Streits bei dem bundeseigenen Konzern Deutsche Bahn. Nach wochenlangem Gerangel hat zwar Finanzvorstand Alexander Doll eingewilligt, zu gehen. Doch am Montag war zunächst noch offen, ob sich damit alle Aufsichtsräte zufrieden geben.
Doll sollte die Konzerntochter Arriva verkaufen - was nicht gelang. Intern wird ihm nun vorgeworfen, bei dem erhofften Milliardendeal nicht alle Karten auf den Tisch gelegt zu haben. An dieser Darstellung gibt es jedoch Zweifel. Die größte Bahngewerkschaft EVG verlangte Aufklärung. "Erst dann kann es im Aufsichtsrat darum gehen, weitere Personalentscheidungen zu treffen", sagte Torsten Westphal, der Chef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Es gibt Anzeichen, dass es auch andere Ursachen gibt für das Zerwürfnis zwischen Bahnchef Richard Lutz und seinem Finanzvorstand Doll. Dem Vernehmen nach lehnte Doll ab, sich künftig auf das Ressort Güterverkehr zu konzentrieren und die Finanzen abzugeben.
Mit diesem Schritt wäre ein Wechsel von Sigrid Nikutta als Vorstand für Güterverkehr zur Bahn vereitelt worden. Die frühere Cargo-Managerin und heutige Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) war schon öfter für Führungsposten bei der Bahn im Gespräch gewesen. Dieses Mal gelingt ihr der Wechsel; am 7. November berief sie der Aufsichtsrat zum 1. Januar 2020.
Doll unterschrieb nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur am Freitag einen Auflösungsvertrag. Er war erst vor eineinhalb Jahren zur Bahn gekommen, zunächst als Vorstand für Güterverkehr und Logistik, seit Januar auch für Finanzen. Damit erhielt er auch die Aufgabe, Arriva zu verkaufen. Die Tochter betreibt mit 53 000 Beschäftigten Busse und Bahnen in 14 europäischen Ländern. Ihr Verkauf sollte bis zu vier Milliarden Euro für die Eisenbahn in Deutschland bringen.
Doch von der Summe sind eigentlich noch Schulden und Pensionslasten von weit mehr als einer Milliarde Euro abzuziehen. Dies soll Doll nicht transparent gemacht haben, wird ihm nun vorgeworfen. Jedoch dürfte auch Bahnchef Lutz die Zahlen gut kennen. Von 2010 bis zum Dezember 2018 hat er das Finanzressort verantwortet; er selbst hatte vor drei Jahren schon einmal versucht, Arriva zu verkaufen.
Der Bahnbeauftragte der Bundesregierung, Enak Ferlemann, erklärte noch vor zwei Wochen, die Arriva-Interessenten hätten "alle notwendigen Unterlagen und Dokumente" fristgerecht erhalten. Die Entscheidung über das Unternehmen mit Sitz in England verzögere sich "aufgrund des aktuell schwierigen Marktumfeldes und der politischen Situation im Vereinigten Königreich". Ferlemann bezog sich in seiner Antwort auf eine FDP-Anfrage auf Konzernangaben.
Die FDP sprach daher von Intrigen, die genau aufzuklären seien - ebenso wie die Rolle des Vorstands Ronald Pofalla und des Ministers Scheuer. Dieser hatte sich für eine Ablösung Dolls stark gemacht. "Streit ist immer schlecht", hatte Scheuer erklärt. Notwendig seien schnellere Verbesserungen für die Fahrgäste.
Doll soll dem Vernehmen nach eine einstellige Millionensumme als Abfindung erhalten. Wer seinen Posten übernehmen könnte, ist noch unklar. Möglich ist, dass Vorstandschef Lutz sich vorübergehend auch wieder um die Finanzen kümmert./bf/DP/nas
AXC0222 2019-11-18/16:25