Als Boris Johnson nach seiner Wahl zum Tory-Parteichef und Premier vor die Tür der Downing Street 10 trat, klang es, als wäre Großbritannien im Krieg und dem Land stünde eine Entscheidungsschlacht bevor: "Die Zweifler, die Untergangspropheten und Pessimisten werden wieder danebenliegen", rief er.
Lieber wolle er "tot im Graben" liegen, als eine Verlängerung der Brexit-Frist am 31. Oktober zu beantragen, verkündete Johnson kurze Zeit später. Doch am Ende musste er sich dem Willen der Mehrheit im Parlament fügen. Aus seinem angedrohten Brexit ohne Abkommen wurde genauso wenig etwas, wie aus seinem eilig nachverhandelten Brexit-Deal. Immerhin setzte er sich im vierten Versuch mit seinem Wunsch nach einer Neuwahl durch, die das Land nun mitten in der Adventszeit trifft.
Johnson regierte seit Anfang September ohne Mehrheit im Parlament. Zum Markenzeichen seiner bislang kurzen Amtszeit als Premierminister wurde ein rücksichtsloses Vorgehen gegen innerparteiliche Gegner. Als eine Gruppe von zum Teil altgedienten Tories gegen die Regierung stimmte, warf er sie kurzerhand aus der Fraktion. Viele sehen darin die Handschrift des Wahlkampfstrategen Dominic Cummings, der gemeinsam mit Johnson hinter der Vote-Leave-Kampagne (für einen EU-Austritt) im Brexit-Wahlkampf 2016 stand und ihn auch nun wieder berät. Johnson war vor dem Referendum das prominenteste Gesicht der Brexit-Befürworter. Manch einer glaubt, ohne ihn hätte es das knappe Votum der Briten zum Austritt nie gegeben.
Die Schuld, dass der Brexit noch immer nicht vollzogen ist, gibt Johnson der Opposition und den Rebellen in seiner eigenen konservativen Partei, die sich gegen die Drohung eines ungeregelten EU-Austritts stemmten. Johnson stellte sich in der Auseinandersetzung mit dem Parlament gerne als Vollstrecker des Volkswillens dar, der von EU-freundlichen Eliten daran gehindert wird.
Dabei ist Alexander Boris de Pfeffel Johnson alles andere als ein Mann des Volkes. In New York als Sohn eines erfolgreichen Beraters für Umweltfragen geboren, war ihm schon als Kind klar, dass er für Höheres bestimmt war. Auf die Frage, was er einmal werden wolle, habe er mit "Weltkönig" geantwortet, sagte seine Schwester Rachel einmal. Bestärkt haben dürfte ihn auch der Schulbesuch im Elite-Internat Eton nahe London und das Geschichtsstudium an der renommierten Universität Oxford.
Wenn auch nicht in einem Krieg, steckt Großbritannien doch in einer handfesten Krise. Johnsons Vorgängerin Theresa May hatte zwar einen Brexit-Deal mit der EU ausgehandelt, doch sie konnte ihn nicht durch das Parlament bringen. Vor allem wegen des Widerstands in ihrer Partei - auch Johnsons. Am Ende war sie zum Rücktritt gezwungen.
Nun inszeniert sich Johnson als Retter in der Not, der das Land wieder in geordnete Bahnen führen will. Sein Vorbild könnte dabei Winston Churchill zu sein. Über den Kriegspremier veröffentlichte er sogar eine Biografie und bekannte, es handele sich um den Helden seiner Kindheit. "Er will als derjenige gesehen werden, der das Land durch einen Blut-Schweiß-und-Tränen-Moment führt", wurde Johnson von dem belgischen Europaabgeordneten Philip Lamberts charakterisiert.
Dafür spricht seine Kriegsrhetorik: Politische Gegner bezichtigte Johnson, der EU gegenüber "kapitulieren" zu wollen. Zum Teil bezeichnete er seine Kritiker auch als Kollaborateure und Verräter, weil sie einen Brexit ohne Abkommen ablehnten. Von dieser Wortwahl wollte er auch nicht ablassen, als ihn eine Labour-Abgeordnete beschuldigte, damit Drohungen und Gewalt gegen Parlamentarier zu befördern. Das sei nichts als "Humbug", konterte Johnson.
Zweiter Churchill oder skrupelloser Selbstdarsteller? Wie die Briten über Johnson urteilen, wird sich bei der Parlamentswahl am 12. Dezember zeigen./cmy/DP/nas
AXC0095 2019-12-05/10:05