BRÜSSEL (dpa-AFX) - Es ist ein politisches Minenfeld, und die zuständigen EU-Kommissare Valdis Dombrovskis und Paolo Gentiloni betraten es am Mittwoch nur auf Zehenspitzen. Europas Stabilitäts- und Wachstumspakt ist für die einen heiliger Gral, für die anderen Teufelszeug. Und entsprechend heikel ist der Versuch, diese EU-Haushaltsregeln neu zu justieren. Die EU-Kommission will es nun trotzdem angehen, aber sehr, sehr vorsichtig. Erstmal soll monatelang diskutiert werden.
Begründet wird der Reformversuch mit den aktuellen Topthemen in Brüssel: dem anstehenden Umbau zu einer klimaneutralen und digitalisierten Wirtschaft, der mehrere Billionen Euro kosten wird. "Stabilität bleibt ein zentrales Ziel, aber genauso dringend ist es, Wachstum zu unterstützen und vor allem die immensen Investitionen zum Kampf gegen den Klimawandel zu mobilisieren", meinte Gentiloni. Für Klimaschutz- und Hightech-Investitionen sollen die öffentliche Haushalte trotz aller Schuldenregeln Spielräume bekommen.
Gleichzeitig soll das Wirrwarr an Vorschriften, Parametern und Prüfungsmechanismen ausgedünnt werden. "Die Regeln sind komplex und schwer zu verstehen", sagte Dombrovskis. Und sie wurden in der Vergangenheit immer wieder weitgehend folgenlos gebrochen, die vorgesehenen Milliardenstrafen nie verhängt.
Die Urzelle des Regelwerks ist der Vertrag von Maastricht von 1992. Schon dort ist vereinbart, dass Haushaltsdefizite unter normalen Umständen nicht über 3,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen dürfen und die Gesamtverschuldung nicht über 60 Prozent. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt von 1997 sollte die Umsetzung sichern. In der Finanzkrise wurden 2011 und 2013 die Überwachungsregeln nachgeschärft.
Nun sei es Zeit, diese Regeln auf den Prüfstand zu stellen, betonte die Kommission. Defizite seien abgebaut, Wachstum und mehr wirtschaftlicher Gleichschritt erreicht. Jetzt aber trübe sich die Konjunktur ein, und man müsse gegensteuern, sagt Gentiloni. Im übrigen werde ja noch gar nichts empfohlen, sondern man wolle erst einmal eine "offene Diskussion", ergänzte Dombrovskis.
Und diese Diskussion brach denn auch sofort los. Der Linken-Europapolitiker Martin Schirdewan forderte gleich: "Der Stabilitäts- und Wachstumspakt gehört in die Mottenkiste der Geschichte!" SPD-Wirtschaftsfachmann Joachim Schuster verlangte die Abkehr vom "Kürzungsfetisch", der dem klimaneutralen Europa im Wege stehe. Der Grünen-Experte Sven Giegold beklagte die "prozyklische" Wirkung der Haushaltsregeln, also der Effekt, dass sie im Falle einer Krise verstärkend wirken könnten.
Der CSU-Europapolitiker Markus Ferber argumentierte andersherum. Die Regeln müssten nicht gelockert, sondern konsequent angewandt werden. Flexiblität gebe es ja schon, jetzt nur keine Vorzugsbehandlung für grüne Investitionen, indem man sie aus Defiziten rausrechne. "Nur weil die Kommission nun den Green Deal ausgerufen hat, hat sich die Schuldentragfähigkeit in Ländern wie Italien und Frankreich keinen Deut verbessert", meinte Ferber. "Schulden sind Schulden."
Dass der zuständige Kommissar Gentiloni Italiener ist, macht die Debatte nicht unbedingt einfacher. Das Land ist in der Eurozone das vielleicht größte Sorgenkind: praktisch kein Wachstum, rund 10 Prozent Arbeitslosigkeit, ein Schuldenberg von rund 135 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - statt der vereinbarten 60 Prozent - und dazu der Rechtspopulist Matteo Salvini als Regierungschef im Wartestand, der alle Unbill der Welt auf die vermeintliche Brüsseler Sparwut schiebt.
Die Kommission will dem Land und dem Wachstum insgesamt auf die Sprünge helfen. Aber Kritikern auch keine Angriffsfläche bieten. Und als Hüterin der Stabilität nicht unglaubwürdig werden. Auf diesem Minenfeld sind Fehltritte gefährlich. Dombrovskis schien deshalb ganz früh, dass nun erstmal alle Beteiligten befragt werden sollen. "Ich soll jetzt noch keine Antworten geben", ermahnte sich der Lette selbst./vsr/DP/stk
Begründet wird der Reformversuch mit den aktuellen Topthemen in Brüssel: dem anstehenden Umbau zu einer klimaneutralen und digitalisierten Wirtschaft, der mehrere Billionen Euro kosten wird. "Stabilität bleibt ein zentrales Ziel, aber genauso dringend ist es, Wachstum zu unterstützen und vor allem die immensen Investitionen zum Kampf gegen den Klimawandel zu mobilisieren", meinte Gentiloni. Für Klimaschutz- und Hightech-Investitionen sollen die öffentliche Haushalte trotz aller Schuldenregeln Spielräume bekommen.
Gleichzeitig soll das Wirrwarr an Vorschriften, Parametern und Prüfungsmechanismen ausgedünnt werden. "Die Regeln sind komplex und schwer zu verstehen", sagte Dombrovskis. Und sie wurden in der Vergangenheit immer wieder weitgehend folgenlos gebrochen, die vorgesehenen Milliardenstrafen nie verhängt.
Die Urzelle des Regelwerks ist der Vertrag von Maastricht von 1992. Schon dort ist vereinbart, dass Haushaltsdefizite unter normalen Umständen nicht über 3,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen dürfen und die Gesamtverschuldung nicht über 60 Prozent. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt von 1997 sollte die Umsetzung sichern. In der Finanzkrise wurden 2011 und 2013 die Überwachungsregeln nachgeschärft.
Nun sei es Zeit, diese Regeln auf den Prüfstand zu stellen, betonte die Kommission. Defizite seien abgebaut, Wachstum und mehr wirtschaftlicher Gleichschritt erreicht. Jetzt aber trübe sich die Konjunktur ein, und man müsse gegensteuern, sagt Gentiloni. Im übrigen werde ja noch gar nichts empfohlen, sondern man wolle erst einmal eine "offene Diskussion", ergänzte Dombrovskis.
Und diese Diskussion brach denn auch sofort los. Der Linken-Europapolitiker Martin Schirdewan forderte gleich: "Der Stabilitäts- und Wachstumspakt gehört in die Mottenkiste der Geschichte!" SPD-Wirtschaftsfachmann Joachim Schuster verlangte die Abkehr vom "Kürzungsfetisch", der dem klimaneutralen Europa im Wege stehe. Der Grünen-Experte Sven Giegold beklagte die "prozyklische" Wirkung der Haushaltsregeln, also der Effekt, dass sie im Falle einer Krise verstärkend wirken könnten.
Der CSU-Europapolitiker Markus Ferber argumentierte andersherum. Die Regeln müssten nicht gelockert, sondern konsequent angewandt werden. Flexiblität gebe es ja schon, jetzt nur keine Vorzugsbehandlung für grüne Investitionen, indem man sie aus Defiziten rausrechne. "Nur weil die Kommission nun den Green Deal ausgerufen hat, hat sich die Schuldentragfähigkeit in Ländern wie Italien und Frankreich keinen Deut verbessert", meinte Ferber. "Schulden sind Schulden."
Dass der zuständige Kommissar Gentiloni Italiener ist, macht die Debatte nicht unbedingt einfacher. Das Land ist in der Eurozone das vielleicht größte Sorgenkind: praktisch kein Wachstum, rund 10 Prozent Arbeitslosigkeit, ein Schuldenberg von rund 135 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - statt der vereinbarten 60 Prozent - und dazu der Rechtspopulist Matteo Salvini als Regierungschef im Wartestand, der alle Unbill der Welt auf die vermeintliche Brüsseler Sparwut schiebt.
Die Kommission will dem Land und dem Wachstum insgesamt auf die Sprünge helfen. Aber Kritikern auch keine Angriffsfläche bieten. Und als Hüterin der Stabilität nicht unglaubwürdig werden. Auf diesem Minenfeld sind Fehltritte gefährlich. Dombrovskis schien deshalb ganz früh, dass nun erstmal alle Beteiligten befragt werden sollen. "Ich soll jetzt noch keine Antworten geben", ermahnte sich der Lette selbst./vsr/DP/stk
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