Mainz (ots) - Willkommen in Europa. Mit seinem überraschend liberalen Urteil zur Sterbehilfe verschiebt das Bundesverfassungsgericht die Koordinaten bei diesem heiklen Thema zu den Benelux-Ländern, Österreich und der Schweiz, wo aktive Sterbehilfe längst erlaubt ist. Und es setzt den Trend zur Individualisierung bis in den Bereich des Sterbens fort. Bei Umfragen hatten bis zu 80 Prozent der Bundesbürger aktive Sterbehilfe befürwortet. Gleichwohl haben die Verfassungsrichter nicht populistisch geurteilt. Zur Einordnung: Die Selbstbestimmung des Individuums hat auch schon vor dem Urteil das Recht des Einzelnen auf die Entscheidung zum Freitod beinhaltet. Das Verfassungsgericht hat "lediglich" das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid gekippt. Diese strafrechtliche Einschränkung klang zwar sympathisch. Geschäftsmäßig und kommerziell sind aber nicht das Gleiche. Im Ergebnis untersagte die Regelung Medizinern, mehrfach Sterbehilfe zu leisten. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen ist so unterlaufen worden. Die Kirchen, die gegen das Urteil Sturm laufen, müssen sich darauf verweisen lassen, dass ihre ethischen Regeln allein für Gläubige gelten, nicht aber die Gesellschaft binden können. Bedeutet das Urteil dann auch das Ende der Sterbebegleitung in der Hospizbewegung? Mitnichten: Im besten Fall bewirkt die Freigabe der Sterbehilfe, dass Staat und Wohlfahrtsverbände mehr als bisher in die unterfinanzierte Sterbebegleitung investieren. Die Kirchen werden aber damit leben müssen, dass in Einrichtungen anderer Träger künftig auch Sterbehilfe angeboten wird - deren Regeln der Gesetzgeber nun ausgestalten muss.
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