LEVERKUSEN (Dow Jones)--Aktionäre von Bayer dürfen nicht damit rechnen, dass die Glyphosat-Prozessrisiken kurzfristig aus der Welt geschafft werden. "Wenn wir uns dem Diktat einer Fristsetzung unterwerfen würden, würden wir kein gutes Ergebnis für die Investoren erreichen", sagte Bayer-Vorstandschef Wolfgang Baumann auf die Frage, ob ein Vergleich bis zur Hauptversammlung gefunden werde.
Unter Marktteilnehmern wurde bislang davon ausgegangen, dass der Bayer-Chef bis zum Aktionärstreffen Ende April eine außergerichtliche Lösung für die immer weiter steigenden Einzelfallklagen vorlegen wird. Analyst Markus Mayer von der Baader Bank hält dabei Gesamtkosten von in Summe 12 Milliarden Euro für wahrscheinlich. Detaillierte Informationen zu den Vergleichsverhandlungen waren auf der Bilanzpressekonferenz nicht zu bekommen. Mit Verweis auf die Vertraulichkeit zwischen den Verhandlungsparteien gab sich der Bayer-Chef auf Nachfragen äußerst schmallippig. Auch die sonst üblichen Gespräche mit Journalisten am Rande der Pressekonferenz fielen diesmal aus.
Baumann wollte weder sagen, ob er sich vorstellen könnte, Glyphosat in den USA aus den Regalen der Baumärkte zu nehmen, um weitere Klagen für die Zukunft zu vermeiden, oder wo eine Schmerzgrenze aus seiner Sicht liegen könnte. Persönlich unter Druck sieht er sich nicht, nachdem sein langjähriger Mentor Werner Wenning angekündigt hat, nach der Hauptversammlung den Vorsitz des Aufsichtsrates aufzugeben. Künftig wird ihn mit Ex-PwC-Chef Norbert Winkeljohann ein Externer führen. "Das ist Business as ususal", beschrieb Baumann die Veränderung im Kontrollgremium.
Klar ist der Bayer-Chef allerdings nach wie vor in der Einschätzung, dass die Behauptung, Glyphosat sei krebserregend, wissenschaftlich nicht haltbar ist. Deshalb will er "die drei Berufungsverfahren notfalls durch alle Instanzen" führen. Ein Vergleich sei davon abhängig, ob es gelinge, zu vernünftigen Bedingungen "eine umfassende Lösung für den gesamten Verfahrenskomplex" zu erreichen.
Die Klagewelle - inzwischen sind 48.600 Roundup-Fälle in den USA anhängig - bezeichnete Baumann "als ein Produkt des US-Rechtssystems". Das habe mit dem Bayer-Produkt und seiner Sicherheit nichts zu tun. Nicht umsonst habe Bayer von der Umweltbehörde EPA für den Unkrautvernichter eine vollumfängliche Bestätigung des Status bekommen. Bei geringsten Zweifeln hätte die EPA reagiert.
Baumann räumte ein, dass die Klagen negative Effekte für Image und Reputation gezeitigt hätten, allerdings nicht in den USA. In China seien die Werte zuletzt sogar gestiegen. Gelitten hat das Ansehen nach seinen Worten in Europa - vornehmlich aber in Deutschland und Frankreich.
Im Dezember hat Bayer den Antrag für eine Wiederzulassung des Breitbandherbizids in der EU für die Zeit nach 2022 gestellt, wenn die aktuelle Zulassung endet. Baumann versprach, das Verfahren werde so transparent wie nie zuvor sein. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) hat sich bereits skeptisch gezeigt, dass es in der EU weiter benutzt werden dürfte.
Bayer machte 2019 nach den Worten von Crop-Science-Chef Liam Condon rund 5 Milliarden Euro Umsatz mit Herbiziden - etwas mehr als die Hälfte davon mit Glyphosat. Von dieser Summe entfielen 10 Prozent auf Europa. Die Frage bei einer Nicht-Wiederzulassung ist aus Sicht von Condon die, welche Alternativen es für die Landwirtschaft dann noch gebe und ob sie besser seien. Man habe bisher nichts gefunden, was sicherer, wirksamer und nachhaltiger wäre als Glyphosat, lautete seine Antwort.
Für die Aktionäre von Bayer gibt es immerhin ein Zugeständnis: Bayer unterzieht sich einer freiwilligen Sonderprüfung. Dabei geht es um die Frage, ob die Bayer-Führung bei der Buchprüfung vor der Monsanto-Übernahme alle erforderliche Sorgfaltspflichten erfüllt und die rechtlichen Risiken richtig eingeschätzt hat, wie dies unter anderem der Aktionär Christian Strenger auf der Hauptversammlung 2019 bezweifelte.
Sein Antrag auf Sonderprüfung scheiterte zwar damals, doch jetzt erklärte sich Bayer freiwillig bereit, den von Strenger benannten BWL-Professor Hans-Joachim Böcking von der Universität Frankfurt eine solche Sonderprüfung machen zu lassen. Ende März soll das Ergebnis vorliegen und veröffentlicht werden.
Baumann und der Bayer-Vorstand waren 2019 wegen der Glyphosat-Thematik nicht entlastet worden, ein äußerst seltenes Misstrauensvotum in der Unternehmensgeschichte. Baumann sagte, er könne das Votum der Anteilseigner angesichts der Kursverluste nachvollziehen.
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February 27, 2020 07:59 ET (12:59 GMT)
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