BERLIN (Dow Jones)--Die deutsche Industrie hat die von der Bundesregierung initiierte zweite Befragungswelle zu Umwelt- und Sozialstandards in ihren Lieferketten scharf kritisiert. Es sei "falsch", jetzt erneut zu starten, ohne die Ergebnisse der ersten Welle im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) gründlich auszuwerten, erklärte der stellvertretende BDI-Hauptgeschäftsführer Holger Lösch. "Wir bedauern es außerordentlich, dass kein sachgerechtes und faires Vorgehen im Interesse der Sache zustande gekommen ist." Die konstruktiven Vorschläge der Wirtschaft seien nicht berücksichtigt worden.
Weder sei eine qualifizierte Diskussion möglich, noch würden die Fragerunden aufeinander aufbauen, erklärte Lösch. "Teile der Bundesregierung vermitteln den Eindruck, dass ein Lieferkettengesetz bereits in Arbeit sei und unabhängig von den Ergebnissen der aufwendigen Befragung komme." Für viele Unternehmen stelle sich damit die Frage nach dem Sinn des Prozesses und der Verlässlichkeit der Politik. "Sollte die Bundesregierung vor Abschluss der zweiten Runde eine Gesetzesinitiative starten, würde dies den NAP-Prozess endgültig ad absurdum führen."
Die Befragung hatte das Auswärtige Amt am Montag gestartet. Unternehmen haben nun bis zum 24. April Zeit, die Fragebögen zu ihren Lieferketten auszufüllen. Das Auswärtige Amt erklärte, vor Beginn der zweiten Befragungsrunde seien einzelne Fragen "leicht angepasst" worden, "um potenziellen Missverständnissen im Hinblick auf die Anforderungen des NAP vorzubeugen." Eine "inhaltliche Anpassung" habe jedoch "nicht stattgefunden". Somit sei eine Vergleichbarkeit der Erhebungen 2019 und 2020 gewährleistet.
Das Handelsblatt hatte zuvor unter Verweis auf Regierungskreise berichtet, dass Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ihren Entwurf für ein Lieferkettengesetz "deutlich entschärfen" wollen. So sollten vor allem die direkten Zulieferer - und nicht mehr alle Lieferanten - in den Blick genommen werden. Unternehmen seien zudem gehalten zu prüfen, ob es Risikostoffe in ihrem Zuliefererportfolio gebe, etwa Kobalt aus dem Kongo. Das Entwicklungsministerium war für eine Anfrage nicht zu erreichen. Das Arbeitsministerium teilte Dow Jones Newswires dazu mit, dass "die Arbeiten zum Thema Lieferketten laufen" und andauerten.
Union und SPD hatten die NAP-Befragung im Koalitionsvertrag vereinbart, um festzustellen, inwiefern Unternehmen Transparenz in ihre Lieferketten bringen und schwerste Menschenrechtsverstöße bis hin zu Kinderarbeit ausschließen. Sollte eine freiwillige Selbstverpflichtung nicht ausreichen, vereinbarte die große Koalition, "werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen".
Die erste Welle der Befragung durch Ernst & Young im Dezember 2019 hatte ergeben, dass nur zwischen 17 bis 19 Prozent der 460 ausgewerteten Fragebögen die menschenrechtliche Sorgfalt angemessen umsetzen. Befragt worden waren 3.300 Unternehmen.
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March 02, 2020 10:49 ET (15:49 GMT)
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