Von Manuel Priego-Thimmel
FRANKFURT (Dow Jones)--Die Börsen sind im freien Fall. Die Notfall-Zinssenkung durch die US-Notenbank von 50 Basispunkten hatte lediglich eine kurzfristig mildernde Wirkung. Die Anleger befürchten zunehmend eine weltweite Rezession wegen der nun außerhalb Chinas grassierenden Coronavirus-Epidemie. Besonders kritisch aus Sicht der Börsianer - die Wirksamkeit der Lockerungsmaßnahmen der Notenbanken ist wegen der Kombination aus Nachfrage- und Angebotsschock begrenzt.
Eine alte Börsenweisheit besagt, dass ein guter Kaufzeitpunkt an den Börsen dann gekommen ist, wenn bei den Zentralbanken die Panik ausbricht. Die Panik ist bei den Zentralbankern ausgebrochen, ob damit aber bereits ein guter Kaufzeitpunkt gekommen ist, steht auf einem anderen Blatt. Die Coronavirus-Epidemie - korrekter Pandemie - stellt die Notenbanken vor ganz besondere Herausforderungen: Sie haben es zugleich mit einem Angebots- und einem Nachfrageschock zu tun.
Autoabsatz in China vollständig eingebrochen
Das Coronavirus ist immun gegen Zentralbankgeld. Niedrigere Zinsen werden nicht dazu führen, dass die wegen des Virus unterbrochene Produktion in China, und zunehmend anderen Ländern, schneller wieder aufgenommen wird. Genauso wenig werden niedrigere Zinsen zur Folge haben, dass die Bürger mehr konsumieren. Im Gegenteil: Wie der vollständige Einbruch des Autoabsatzes in China zeigt, gehen die Menschen auf Nummer sicher und bleiben zuhause, um so das Risiko einer Ansteckung zu minimieren.
Die Zentralbanken werden trotzdem weiter lockern, und sei es aus dem einzigen Grund, ihre Handlungsfähigkeit zu unterstreichen. Eine weitere Leitzinssenkung von 50 Basispunkten durch die US-Notenbank auf ihrer Sitzung am 17./18. März ist an den Märkten bereits fest eingepreist. Eine weitere Senkung von 25 Basispunkten im April ist bereits anteilig eingepreist. Damit würde sich die Fed gefährlich nahe der Nullgrenze bei den Zinsen nähern.
EZB dürfte Wertpapierkäufe ausweiten
In der kommenden Woche ist aber erst einmal die EZB an der Reihe. An den Märkten ist eine Senkung des Einlagensatzes um 10 Basispunkte auf dann minus 0,50 Prozent schon fest eingepreist. Die Volkswirte sind sich indes nicht so einig, sind doch bereits jetzt die Nebenwirkungen der negativen Zinspolitik offensichtlich. Neben einer möglichen Zinssenkung steht eine Erhöhung der monatlichen Wertpapierkäufe von 20 Milliarden Euro im Raum sowie neue Langfristtender für den Bankensektor.
Mit dem sich nun außerhalb China ausbreitenden Virus steigt an den Märkten die Angst vor einem weltweiten Wachstumseinbruch. Die Rabobank unterscheidet in vier Szenarien zwischen "The Bad", "The Worse", "The Ugly" und "The Unthinkable". Die Welt bewege sich Richtung "The Ugly" - ein Szenario, das eine Coronavirus-Ausbreitung in den USA, Europa und Großbritannien vorsieht und vermutlich eine "tiefe globale Rezession". Das "The Unthinkable"-Szenario kann man bislang nur in Hollywood-Filmen erleben.
DAX preist keine Rezession ein
Mit einem Kursrückgang von rund 15 Prozent von den Allzeithochs ist der DAX noch weit davon entfernt, eine Rezession einzupreisen. "In den fünf Rezessionen seit 1973 fiel der DAX vom lokalen Hoch zum Tief um durchschnittlich 40 Prozent, die Gewinne der Unternehmen brachen 35 Prozent ein", so die DZ Bank. Verglichen mit der aktuellen Situation wäre beim DAX eine Rezession zwischen 7.300 und 9.900 Punkten eingepreist. Der DAX steht aktuell bei 11.500 Punkten.
Wie schwer der wirtschaftliche Schaden und damit der Schaden an den Finanzmärkten ausfallen wird, hängt entscheidend von der weiteren Epidemie-Entwicklung ab. Bevor ein Scheitelpunkt bei den Neuerkrankungen nicht erreicht ist, ist eine nachhaltige Erholung an den Börsen unwahrscheinlich. Je länger der Scheitelpunkt auf sich warten lässt, desto wahrscheinlicher wird die anschließende wirtschaftliche Erholung eine U-Form und keine V-Form annehmen. Hoffentlich kommt der Frühling bald.
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March 06, 2020 07:48 ET (12:48 GMT)
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