Von Andrea Thomas
BERLIN (Dow Jones)--Die Europäische Union braucht eine aktivere Außenhandelspolitik und eine Vertiefung des Binnenmarkts, wenn die Region gegenüber den Wirtschaftsblöcken USA und China nicht an Bedeutung verlieren will. Zu diesem Schluss kommt der Wissenschaftliche Beirat der Stiftung Familienunternehmen in einer Studie. "Wir müssen aus dem Dornröschenschlaf erwachen, wenn wir im Welthandel nicht in die zweite Liga abrutschen wollen", erklärten die vier Autoren der Studie in einer gemeinsamen Stellungnahme.
Die Studie wurde kurz vor der Veröffentlichung der neuen Industriestrategie der EU-Kommission erstellt. Die Autoren der Studie sind Udo Di Fabio, Jura-Professor an der Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, und Kay Windthorst, Jura-Professor an der Universität Bayreuth.
Wichtig sei in der aktuellen Situation für die EU, Tempo beim Abschluss von Freihandelsabkommen zu machen, betonte der Ökonom Felbermayr. Nur dies sei der einzig richtige Weg, um handelspolitische Unsicherheiten abzubauen. Dabei sei es wichtig, dass die EU bei der Ausgestaltung der Handelsverträge das eigentliche Ziel im Auge behalte. "Freihandelsabkommen sollten nicht mit Zielen überfrachtet werden, die nichts mit internationalem Handel zu tun haben", meinte Felbermayr. Die Sozial- und Lohnpolitik sollte außen vorbleiben und die Umweltpolitik nur dann im Abkommen thematisiert werden, wenn es um globale Umweltprobleme gehe.
Die für März erwartete europäische Industriestrategie schließt sich dem im vergangenen Jahr vorgestellten Konzept von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier an. Der CDU-Politiker hatte darin einen verstärkten Schutz deutscher Schlüsselunternehmen von ausländischen Übernahmen gefordert. Dabei soll auch der Staat sich an der Bildung von nationalen und europäischen Champions beteiligen, um die technologische Souveränität der Region zu sichern.
Altmaier will die Außenwirtschaftsverordnung um Prüfoptionen bei Übernahmen von kritischen Technologien wie der Künstlichen Intelligenz, Robotik, Halbleiter, Biotechnologie und Quantentechnologie erweitern. Auch soll als "Ultima Ratio" im Einzelfall bei sensiblen oder sicherheitsrelevanten Technologien über die staatseigene KfW eine befristete staatliche Beteiligung an Unternehmen erwogen und realisiert werden.
Neben Deutschland gibt es auch von Frankreich, Italien und Polen Forderungen, dass die EU-Kommission die Regeln zur Fusionskontrolle lockern soll.
Für IfW-Chef Felbermayr sind diese geforderten Aufweichungen problematisch. "Bestrebungen, das europäische Wettbewerbs- oder das Beihilferecht anzupassen, um politische Präferenzen umzusetzen, sind sehr kritisch zu sehen", warnte Felbermayr. Nötig sei vielmehr, den Europäischen Binnenmarkt zu vertiefen und bürokratische Belastungen bei grenzüberschreitendem Handel mit Dienstleistungen zu lockern.
Ifo-Präsident Fuest sieht die Forderung Altmaiers kritisch, das EU-Beihilferecht zu aktualisieren. "Wichtig ist, dass das Beihilferecht nicht als Hintertür genutzt wird, um europäische Champions zu privilegieren", sagte Fuest. "Mehr Mitspracherecht der Mitgliedstaaten schafft keine innovativen europäischen Champions, sondern führt lediglich zu einem europäischen Geschacher um Privilegien für jeweils heimische Firmen." Entscheidungen würden beliebig, und es bestünde die Gefahr, dass Partikularinteressen sich auf Kosten der Allgemeinheit durchsetzten, beispielsweise indem einzelnen Unternehmen marktbeherrschende Positionen eingeräumt würden, monierte Fuest.
Der Jurist Di Fabio warnte vor einer schleichenden Abkehr von marktwirtschaftlichen Prinzipien, sollte es immer wieder neue Interventionen zur staatlichen Preisregulierung oder Investitionslenkung in einem Sektor kommen. "Es entsteht womöglich kaum merklich ein Ambiente staatskapitalistischen Wirtschaftens, vielleicht sogar eine Konvergenz zum chinesischen System massiver politischer Lenkungen einer nur instrumentell und begrenzt vom Staat 'gewährten' Marktwirtschaft", erklärte Di Fabio.
Für Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, bedarf es auf EU-Ebene keiner neuer Instrument oder Kompetenzen, sondern einer besseren Nutzung bestehender Instrumente und einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Industrie. "Die Antwort auf die weltwirtschaftlichen Herausforderungen besteht in einem Zweiklang: Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen für unsere Unternehmen vor Ort und eine selbstbewusste Politik, die europäische Interessen auf internationaler Ebene entschlossen vertritt", sagte Kirchdörfer. "Es braucht neue Handelsabkommen und eine Vollendung des Binnenmarkts gerade im Dienstleistungsbereich."
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March 08, 2020 21:00 ET (01:00 GMT)
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