Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)--Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rechnet in diesem Jahr aufgrund der Coronavirus-Epidemie mit einer Rezession. Unter Annahme einer Eindämmung der Epidemie sagte das DIW eine Schrumpfung des deutschen Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 0,1 Prozent in diesem Jahr voraus. "Die Corona-Krise würde in diesem Fall ein um rund 1,3 Prozentpunkte geringeres Wachstum nach sich ziehen", erklärten die Forscher. Für 2021 erwarteten sie dann demnach wieder ein Wachstum von 1,7 Prozent. Die Prognose sei "mit großer Unsicherheit behaftet".
Denkbar seien mehrere Szenarien für die kommenden Monate. "Wir sehen unsere Prognose letztendlich als Darstellung verschiedener Szenarien", sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher bei einer telefonischen Pressekonferenz. "Wir reden in Szenarien und nicht in Prognosen." Angenommen seien zwei Szenarien, zwischen denen sich die Entwicklung voraussichtlich bewegen werde, erklärte DIW-Konjunkturchef Klaus Michelsen.
Sicher scheine, dass die deutsche Wirtschaft "mindestens in den kommenden beiden Quartalen erheblich in Mitleidenschaft gezogen" werde. "Wie es danach weitergeht, hängt davon ab, wie bald eine Rückkehr zu normalen wirtschaftlichen Aktivitäten möglich ist und gelingt." Für die Prognose wird einerseits ein "V"-Szenario unterstellt, das einen ähnlichen Verlauf der Virusausbreitung unterstellt wie bei vergangenen Epidemien, etwa der Schweinegrippe, Sars oder der Vogelgrippe. Nachdem es steil bergab gegangen sei, normalisierten sich demnach nach erfolgreicher Eindämmung des Virus die Produktion und der Konsum relativ bald, im aktuellen Fall in der zweiten Jahreshälfte.
"Selbst in diesem - Stand jetzt eher optimistischen - Szenario würde die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr unter dem Strich aber schrumpfen, um 0,1 Prozent", betonte das DIW. "Das ist ein sehr positives Szenario", konstatierte Michelsen. "Es ist aber mittlerweile sehr unwahrscheinlich, dass wir genau diesen Verlauf beobachten werden." Angenommen würden dafür eine Eindämmung des Virus und ein entschlossenes Handeln der Politik.
Keine Prognose für Negativszenario
Ein alternativ angenommenes "L"-Szenario sei hingegen ein sehr negatives. Es gehe steil bergab, Produktion und Konsum normalisierten sich nicht, sondern verharrten auf dem geringeren Niveau. Dieses Szenario sei "in seiner Komplexität in Zahlen kaum abzubilden", sagte Michelsen. Zahlen dazu könne man nicht seriös benennen, erklärte Fratzscher. "Die wichtige große Frage ist, wie stark werden die Nachholeffekte werden."
Notwendig sei ein entschiedenes Handeln zur Stabilisierung. Der Krise sollte schnell und massiv entgegengetreten werden. Weltweit hätten die Zentralbanken teils weitreichende Schritte unternommen, um die Märkte zu beruhigen. Mindestens genauso gefragt sei jetzt aber die Finanzpolitik. Das Paket der Bundesregierung sei "ein wichtiger erster Schritt", um Insolvenzen und Arbeitsplatzverluste zu vermeiden. Andere Lösungen brauche es aber für Kleinunternehmerinnen und -unternehmer sowie Soloselbstständige, für die die Krise vielfach zur Existenzbedrohung werde.
Sollte sich die wirtschaftliche Krise trotz eines Abebbens der Pandemie verfestigen, wäre es außerdem nötig, den Konsum der privaten Haushalte und die Investitionen anzukurbeln. Möglich wäre, die teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags vorzuziehen oder vorübergehend die Mehrwertsteuer oder die Sozialversicherungsbeiträge zu senken.
Fratzscher mahnte aber auch "mehr internationale Kooperation und europäische Lösungen" an. Die Maßnahmen sollten auf europäischer Ebene koordiniert und durch gemeinsame europäische Initiativen ergänzt werden. Hierfür könnte auch der europäischen Rettungsschirm ESM genutzt werden, erklärte das DIW. Wichtig dabei sei, "den Glauben an und das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit aller europäischen Regierungen, vor allem Italiens, sicherzustellen".
Zu Vorschlägen eines "Corona-Bonds" erklärte der DIW-Chef, dies wäre eine Art von Vergemeinschaftung, wie auch er sie in der Vergangenheit kritisch gesehen habe. "Aber als ein Last Resort ist es etwas, das man diskutieren muss."
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March 19, 2020 05:00 ET (09:00 GMT)
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