BERLIN (Dow Jones)--Führende deutsche Ökonomen haben die ablehnende Haltung der Bundesregierung gegen gemeinsame Anleihen der Eurostaaten in der Krise, sogenannte Corona-Bonds, kritisiert. "Jetzt geht es um Anti-Krisen-Pakete, wie sie alle Länder brauchen", sagte der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, der Saarbrücker Zeitung vor den heutigen Beratungen der Euro-Finanzminister. "Kein Land soll sich deshalb zwischen finanzpolitischer Solidität und dem Retten von Menschenleben entscheiden müssen, sondern tun, was gegen die Krise nötig ist".
Bei den von der Bundesregierung favorisierten Hilfen im Rahmen des Euro-Rettungsmechanismus ESM müsse man bedenken, dass Länder wie Italien, Frankreich oder Spanien sich dann behandelt fühlten, als seien sie das Griechenland von 2015. "Doch das sind sie nicht. Vielmehr geht es darum, Ländern zu helfen, die jetzt in besonderer Weise von der Pandemie betroffen sind", meinte Hüther. "Sollten wir in eine Situation kommen, ob es den Zerfall Europas lohnt, auf Corona-Bonds zu verzichten, dürfte die Bundesregierung noch einmal ins Nachdenken kommen", erklärte der IW-Chef.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, erklärte, die deutsche Wirtschaft sei integraler Teil einer europäischen Wirtschaft, die nur so stark sein könne wie ihr schwächstes Glied. "Und dies sind im Moment Italien und Spanien", sagte Fratzscher der Rheinischen Post. Es brauche dringend eine europäische Lösung, die diesen beiden Ländern genau die gleichen Möglichkeiten gebe wie Deutschland, die Krise zu bekämpfen und eine wirtschaftliche Depression zu verhindern. Dies sei nicht nur ein Akt der Solidarität, sondern liege auch im Eigeninteresse Deutschlands, sagte Fratzscher. "Dazu braucht es sowohl Corona-Bonds als auch eine spezifische ESM-Kreditlinie", so der DIW-Präsident.
Beide hätten unterschiedliche Funktionen. "Eine ESM-Kreditlinie soll den Ländern schnell und unbürokratisch helfen, die Wirtschaft kurzfristig zu stabilisieren. Corona-Bonds sind wichtig, um langfristig eine Erholung aller Länder in Europa zu ermöglichen", sagte Fratzscher.
Der Wirtschaftsweise Achim Truger erklärte Corona-Bonds für "notwendig". Die betroffenen Länder - insbesondere Spanien und Italien - könnten die jetzt notwendigen Ausgaben nur durch zusätzliche Staatsschulden tätigen, sagte Truger der SPD-Zeitung Vorwärts, Diese müssten garantiert sein, damit es nicht zu einer Neuauflage der Eurokrise komme. "Steigen die Schulden Italiens und Spanien aber sehr stark an, werden sie spätestens nach der Corona-Krise in Kürzungspolitik und damit ökonomische, soziale und politische Krisen getrieben, die letztlich in eine Staatsschuldenkrise und einen Zusammenbruch von Euro und EU münden würden", warnt das Mitglied des Sachverständigenrates der Bundesregierung.
Kontakt zur Autorin: petra.sorge@wsj.com
DJG/pso/mgo
(END) Dow Jones Newswires
April 07, 2020 03:36 ET (07:36 GMT)
Copyright (c) 2020 Dow Jones & Company, Inc.