BERLIN (Dow Jones)--In einem breiten Appell haben 92 Wirtschaftswissenschaftler vor dem Bund-Länder-Gipfel am morgigen Mittwoch vor einer längeren Schließung von Schulen und Kindergärten gewarnt. Es brauche "umfassende Maßnahmen, um frühkindliche und schulische Bildung in Deutschland sofort in angepasstem Format für alle Altersgruppen anzubieten", heißt es in einem offenen Brief, der unter anderem vom Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und vier Hochschulvertretern initiiert wurde.
Der Verlust bereits erworbener Fähigkeiten falle umso größer aus, je länger ein normaler Schul- und Kitabetrieb nicht möglich sei, warnte der Leiter des Ifo-Zentrums für Bildungsökonomik, Ludger Wößmann. "Dies hat langfristig deutliche negative Effekte auf die Gesamtwirtschaft." DIW-Bildungsforscherin Katharina Spieß betonte, sozial benachteiligte Kinder und solche mit Lernschwierigkeiten seien von den Schließungen besonders betroffen, auch beim Erlernen der deutschen Sprache fielen sie zurück. "Auf diese Weise vergrößern Kita- und Schulschließungen die Unterschiede in Lerngruppen und darüber hinaus werden soziale Ungleichheiten in der Gesellschaft verstärkt."
Konkret fordern die Ökonomen zunächst, den Unterricht aus der Ferne - als sogenanntes Distanzlernen - zu optimieren. Die Kinder müssten technisch adäquat ausgestattet und fachlich unterstützt werden, Lehrer besser in digitalen Methoden geschult werden. Andernfalls brauche es eine Notbeschulung.
Im zweiten Schritt müsse umgehend der Besuch von Kitas und Schulen allen Kindern und Jugendlichen zumindest zeitweise wieder ermöglicht werden. Dafür seien etwa Kleingruppen, die sich tage- oder wochenweise abwechseln, geeignet, sowie Konzepte für Zusatzförderungen.
In einem dritten Schritt sollten die Bildungs- und Lehrpläne von Kitas und Schulen für das kommende Jahr angepasst werden.
Bei der morgigen Bund-Länder-Konferenz soll über die Situation von Schulen und Kitas in der Corona-Krise beraten werden. Ende April hatten Regierung und Länderchefs bereits vereinbart, einen einmaligen Zuschuss von 150 Euro für digitale Geräte für bedürftige Kinder auszuzahlen.
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May 05, 2020 04:40 ET (08:40 GMT)
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