Von Andrea Thomas
BERLIN (Dow Jones)--Ökonomen fordern von der Bundesregierung ein umfassendes Gesamtpaket, um die deutsche Wirtschaft vor den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu schützen. So das Fazit von mehreren Ökonomen bei der Anhörung "Neustart für die Wirtschaft in Deutschland und Europa" im Deutschen Bundestag. Wichtig sei es, die staatlichen Investitionen zu stärken und die private Nachfrage zu erhöhen. Uneinigkeit herrschte jedoch bei der Frage einer Abwrackprämie für Autos, einem einmaligen Kinderbonus sowie der Senkung von Unternehmenssteuer und höheren Steuern für Spitzeneinkommen.
DIHK fordert Überbrückungshilfen
Nach Einschätzung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) kann die deutsche Wirtschaft mit einem Drei-Stufen-Plan aus Überbrückungshilfen, mehr Zukunftsinvestitionen und einem gestärkten EU-Binnenmarkt gut aus der Corona-Krise kommen. "Unsere Wirtschaft kann am Ende gestärkt aus der Corona-Krise hervorgehen, wenn wir jetzt kluge Entscheidungen treffen", sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer zum DIHK-Maßnahmenpaket.
In einem ersten Schritt möchte der DIHK Lücken in den bestehenden Hilfsprogrammen schließen und fordert Überbrückungshilfen für diejenigen Betriebe, die absehbar noch länger unter Corona-bedingten Umsatzeinbrüchen leiden werden. Im zweiten Schritt fordert der DIHK steuerliche Anreize, Investitionen in Digitalisierung und Klimaschutz sowie geringere Energiekosten. So sollen Unternehmen ihre coronabedingten Verluste besser mit Gewinnen aus Vorjahren verrechnen können. Zudem sollen besonders betroffene Betriebe eine sogenannte Corona-Rücklage vom zu versteuernden Gewinn des Jahres 2019 absetzen dürfen.
Auch sollte der EU-Binnenmarkt als wichtigste Handelsregion für deutsche Unternehmen weiter entwickelt werden. So sollte sich die Bundesregierung dafür einsetzen, den freien Verkehr aller Waren, Dienstleistungen und Arbeitskräfte so schnell wie möglich wieder zu gewährleisten, erklärte der DIHK.
IfW fordert Nachbesserungen
Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) sieht Licht und Schatten in der Stabilisierungspolitik der Bundesregierung. Positiv seien die Ausweitung der Kurzarbeiterregelung, die umfangreichen Liquiditätshilfen und die im Wirtschaftsstabilisierungsfonds bereitgestellten Instrument.
Allerdings sieht er zwei zentrale Probleme. So würden Unternehmen hinsichtlich ihrer Größe unterschiedlich behandelt, während die tatsächliche Betroffenheit durch die Corona-Krise keine zentrale Rolle spielte. Kritisch sieht Felbermayr auch, dass die Bundesregierung den Fokus auf die Gewährung von Krediten gelegt habe und nicht auf eigenkapitalstabilisierende Zuwendungen.
Aus diesen beiden Problemen resultiere eine drohende Insolvenzwelle im Zuge der Krise, eine potentielle Überschuldung vieler Unternehmen nach der Krise, eine tiefgreifende und möglicherweise bleibende Verunsicherung hinsichtlich Unternehmertum und Selbständigkeit sowie allokationspolitische Verzerrungen aufgrund arbiträrer Ungleichbehandlung von Unternehmen, so der Ökonom.
"Diese Punkte belasten die Stabilität des Bankensystems und erschweren ein schnelles Durchstarten nach der Krise, unter Umständen belasten sie sogar nachhaltig das Potentialwachstum der deutschen Volkswirtschaft", monierte Felbermayr. "Außerdem wird das gegenwärtige System von vielen zu Recht als ungerecht wahrgenommen."
Einen von der SPD vorgeschlagenen Kinderbonus von 300 Euro pro Kind sieht er kritisch, da dieser vermutlich nur bei den ärmsten Familien konsumwirksam wäre. Auch ergäbe eine Abwrackprämie für Autos ökonomisch "keinen Sinn", da sie falsche industriepolitische Anreize setzen und dem Klimaschutz nicht nützen, so Felbermayr.
Das IfW fordert zudem eine Reform der Unternehmensbesteuerung, bei der der Solidaritätszuschlag abgeschafft und die Körperschaftsteuer auf 10 Prozent gesenkt werden sollte. Auch sei mittelfristig eine grundlegende Reform des Einkommenssteuer- und Transfersystems geboten. Insgesamt dürfte die Staatsverschuldung unter Berücksichtigung der bisher beschlossenen Maßnahmen in diesem Jahr bei etwa 5,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen, so das IfW.
DGB setzt auf privaten Konsum und höhere öffentliche Investitionen
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert ein schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm im Umfang von 100 bis 150 Milliarden Euro. Die Grundlage für wirksame Konjunkturmaßnahmen müsse die Sicherung und Stärkung der Masseneinkommen und damit der Kaufkraft sein. Zudem braucht es eine Ausweitung der Investitionen und gezielte Impulse für den privaten Konsum.
"Je schneller es gelingt, die wirtschaftliche Entwicklung zu stabilisieren, desto schneller kann Deutschland auch aus neuen Schulden 'herauswachsen'", erklärte der DGB. "Schädlich wäre es, auf eine rasche 'Rückzahlung' zusätzlicher Staatsschulden zu drängen. Das würde eine konjunkturelle Stabilisierung konterkarieren." Auch sollten Spitzeneinkommen und Kapitalerträge, aber auch Erbschaften stärker besteuert werden. Wichtig wäre zudem die Wiedereinführung der Vermögensteuer.
IW fordert Stimulierung der Nachfrage
Das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sieht drei zentrale Stellschrauben, um die deutsche Wirtschaft wieder anzukurbeln. Impulse seien nötig, da das deutsche Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 9 Prozent sinken werde. So fordert das Aufsetzen eines staatlichen Investitionsprogramms, wie etwa in Form einer Abwrackprämie für Ölheizungen, einer Altschuldenhilfe bei den Kommunen und einer Überarbeitung der Abschreibungsregeln für Unternehmen, um Investitionen zu stärken.
Auch sollte es eine gezielte, befristete Entlastung der privaten Haushalte im Umfang von rund 7,5 Milliarden Euro geben. So schlug der IW vor, die EEG-Umlage bis Jahresende um 50 Prozent zu reduzieren und Familien einmalig pro Kind einen Zuschuss von 300 Euro zu gewähren. "Das wären vergleichsweise geringe finanzielle Belastungen für den Fiskus mit voraussichtlich großer Wirkung", sagte IW-Direktor Michael Hüther.
In einem dritten Schritt sollte der Staat gezielte Kaufimpulse mit hoher gesamtwirtschaftlicher Hebelwirkung geben. Dass IW schlägt vor, zwischen August und November 2020 die Mehrwertsteuer von 19 auf 15 Prozent zu senken, was den Staat rund 16 Milliarden Euro kosten dürfte. Beim Thema Abwrackprämie empfiehlt das IW, zumindest zu prüfen, ob eine Umweltprämie für alle Antriebsarten zielführend sein könnte.
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May 27, 2020 05:22 ET (09:22 GMT)
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