Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Die Deutsche Bundesbank könnte sich nach Einschätzung von Societe Generale schwer mit der auf sie zukommenden Rolle eines Verteidigers von EZB-Staatsanleihekäufen tun. Analayst Anatoli Annenknov weist in einer Studie darauf hin, dass die Käufe im Rahmen des PSPP-Programms die von Europäischen Gerichtshof (EuGH) aufgestellten Kriterien nur teilweise erfüllen und dass sich die Bundesbank bei früheren Gelegenheiten explizit kritisch zum PSPP und zum EZB-Inflationsziel geäußert habe.
Laut Annenkov hat der EuGH sein positives Urteil zum PSPP im Dezember 2018 an einige Voraussetzungen gebunden:
1. Das PSPP wirkt nicht selektiv und erfüllt nicht die Finanzierungsbedürfnisse einzelner Länder. "Wir sind der Ansicht, dass der Zweck des PSPP nicht monetäre Staatsfinanzierung war, sondern eine höhere Inflation. Aber als Werkzeug eignet es sich eher zur Stabilisierung der Finanzmärkte als zur Inflationssteigerung", schreibt der Analyst. Zugleich seien in der Zeit der Staatsanleihekäufe die Staatschuldenstände kaum gesunken, wozu die EZB-Käufe einen Anreiz gegeben haben könnten ("moral hazard").
2. Das PSPP ist auf den Zeitraum befristet, den es zur Erfüllung seiner Ziele braucht, es ist also ein zeitlich begrenztes Instrument. "Das stimmt zwar, aber es gibt hierzu lediglich die Absichtserklärung der EZB, die Bilanz zu verkleinern, wenn das Inflationsziel erreicht ist", merkt Annenkov an. Über einen längeren Zeitraum (einen Konjunkturzyklus) gesehen, könnte laut Annenkov trotzdem der Eindruck entstehen, dass es sich um monetäre Staatsfinanzierung handelt.
"Auch das Inflationsziel ist ein Problem, denn laut EU-Vertrag soll die EZB lediglich für Preisstabilität sorgen, und nicht eine Inflationsrate von unter, aber nahe 2 Prozent ansteuern." Sie selbst definiere Preisstabilität nämlich auch als eine Inflationsrate von unter 2 Prozent. Also stehe auch eine Inflationsrate von 1 Prozent im Einklang mit Preisstabilität.
3. Die EZB kauft Staatsanleihen nur am Sekundärmarkt. Verschiedene Vorkehrungen verhindern, dass ein privater Akteur als Intermediär des Eurosystems agieren kann. Diese Vorkehrungen umfassen Mindestfristen zwischen der Emission einer Staatsanleihe und ihrem Kauf durch die Notenbank, die Abwesenheit eines Zielvolumens für Staatsanleihekäufe, kurzfristige Abweichungen von EZB-Kapitalschlüssel, die Wahl zwischen Anleihen zentraler, regionaler oder lokaler Behörden sowie Besitzobergrenzen von 33 Prozent eines Emittenten und einer einzelnen Emission. Diese Vorkehrungen dürften bei einer künftigen Beurteilung der Angemessenheit eine Rolle spielen - zum Beispiel des Pandemiekaufprogramms PEPP.
4. Der Einfluss des PSPP auf die Haushaltspolitik der Staaten wird begrenzt durch ein eingeschränktes Monatsvolumen der Käufe, die subsidiäre Natur des PSPP, die Verteilung der Käufe nach dem EZB-Kapitalschlüssel, die oben beschriebene Begrenzung durch Emittenten- und Emissionslimit, (die bedeutet, dass nur der kleinere Teil der Emission eines Staats gekauft werden kann), und Qualitätsanforderungen an die zu erwerbenden Bonds.
Societe Generale geht davon aus, dass die Wortwahl hinsichtlich des Emittenten/Emissionslimits bedeutet, dass die Zentralbank bis zu 50 Prozent der ausstehenden Schulden kaufen kann - sofern die Anleihen keine collective action clauses (CAC) haben. Das Problem ist, dass die Zentralbank bei CAC-Bonds ab einem Besitzanteil von 33 Prozent eine Schuldenrestrukturierung verhindern müsste, um monetäre Staatsfinanzierung zu vermeiden. Mit Blick auf das PEPP scheint die EZB dieses Risiko für tragbar zu halten - in Italien ist die 33-Prozent-Marke weit entfernt und ein erhöhter Besitz von Bundesanleihen stellt wegen deren hoher Bonität kein Risiko dar.
5. Das Verbot monetärer Staatsfinanzierung verhindert laut EuGH weder das Halten von Staatsanleihen bis zur Endfälligkeit noch den Kauf von Anleihen mit negativer Rendite. Im ersten Punkt ist das Bundesverfassungsgericht allerdings etwas strenger. Es fordert, dass Anleihen nur ausnahmsweise bis Endfälligkeit gehalten werden sollten und ihre Tilgungsbeträge nur ausnahmsweise wiederangelegt werden dürfen. "Eine Kernposition des Bundesverfassungsgerichts ist, dass Staatsanleihen, die sich permanent in der Bilanz des Eurosystems befinden, für den Markt nahezu irrelevant sind", so Annenkov.
Rein formal könnte seiner Meinung nach die Bundesbank die Verhältnismäßigkeitsprüfung mit Hilfe der EZB vornehmen. Der Bericht könnte dann der Bundesregierung übergeben werden. Da das Bundesverfassungsgericht im PSPP keine monetäre Staatsfinanzierung erkennen konnte, wäre der Weg für eine weitere Teilnahme der Bundesbank an dem Programm frei.
Ein Problem sieht Annenkov allerdings darin, dass sich die Bundesbank in den vergangenen Jahren mehrfach selbst kritisch zu verschiedenen Aspekten des PSPP geäußert hat.
1. Das EZB-Inflationsziel war nie sonderlich populär in der Bundesbank. "Wir würden uns nicht wundern, wenn die Bundesbank darauf hinweisen würde, dass der EU-Vertrag einen Rückgang der Inflation unter die von der EZB angestrebte Marke zulasse. Das würde eine weniger aggressive Reaktion bei einem Unterschreiten von 2 Prozent nahelegen", argumentiert Annenkov.
Auch könnte die Bundesbank mit Unterstützung des Verfassungsgerichts dem Plan größeren Widerstand entgegensetzen, ein symmetrisches Inflationsziel von 2 Prozent einzuführen. "Ob das PSPP ein verhältnismäßiges Instrument ist, hängt auch davon ab, ob man eine Inflationsrate von unter 2 Prozent für vereinbar mit dem im EU-Vertrag festgelegten Mandat hält."
2. Wichtig könnte laut Sociere Generale auch die Meinung der Bundesbank zu einer Exit-Strategie sein. "Wir bezweifeln, dass irgendjemand einen auch nur vagen Zeitplan für die Verkleinerung der EZB-Bilanz anstrebt. Gleichwohl könnte die Bundesbank auf der Aussage bestehen, dass jegliche Form von quantitativer Lockerung (QE) vorübergehender Natur zu sein hat", meint Annenkov. Das wiederum könnte die Fähigkeit der EZB einschränken, Forward Guidance zu geben, beispielsweise zur Wiederanlage.
Annenkov ist der Ansicht, dass die EZB 2017 von ihrer eigenen Forward Guidance daran gehindert wurde, den Stimulus zu verringern. Er sieht die Möglichkeit, dass die EZB diese Fragen im Rahmen ihrer Strategieprüfung selbst klärt - oder aber, dass sie im Rahmen einer Vertragsreform neue Leitlinien von der Politik erhält. Insgesamt sieht die französische Bank aber die Gefahr, dass die EZB ihre Spielräume schon so weit ausgenutzt hat, dass sie die Inflation vorerst nicht auf 2 Prozent heben kann.
Aber auch für einen angemessenen Umgang mit einem nach der Rezession steigenden Inflationsdruck hat die EZB nach Einschätzung der Analysten nicht genug Spielraum: "Ihr Mandat ließe der EZB keine andere Wahl, als die Politik zu straffen, was zu einer unerwünschten Straffung in finanziell schwachen Ländern, steigenden Spreads und letzten Endes auch dem Risiko von Euro-Austritten führen könnte", warnt Annenkov.
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May 28, 2020 06:47 ET (10:47 GMT)
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