
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--EZB-Ratsmitglied Jens Weidmann hat die geld- und finanzpolitischen Maßnahmen von Europäischer Zentralbank (EZB) und Bundesregierung in der Corona-Krise verteidigt. In einem Interview mit der Frankfurt Allgemeinen Sonntagszeitung sagte Weidmann, angesichts des immensen wirtschaftlichen Schadens durch Corona sei jetzt die Zeit für eine Lockerung der Geldpolitik und eine höhere Staatsverschuldung. Die Zinsen dürften nach der aktuellen Krise laut Weidmann nicht zu früheren Niveaus zurückkehren. Eine stärkere Besteuerung von Vermögenden zur Senkung der Schuldenlast hält Weidmann für unnötig.
"Die Pandemie belastet uns alle. Sie macht uns weltweit ärmer. Mit den Rettungsmilliarden soll der Schaden gerade begrenzt werden. Löschwasserschäden und Renovierungskosten sprechen ja auch nicht dagegen, bei einem Brand die Feuerwehr zu rufen", sagte Weidmann dem Blatt. Ein ungebremster wirtschaftlicher Einbruch mit all seinen Verstärkungseffekten wäre für Alle viel schmerzhafter und kostspieliger geworden. In dieser außergewöhnlichen Situation agiert der Staat laut Weidmann als eine Art Versicherung. "Er übernimmt Risiken und Lasten von Unternehmen und Haushalten, weil die Gemeinschaft sie besser schultern kann."
Der Bundesbank-Präsident geht nicht davon aus, dass Deutschland zur Verringerung seiner nun stark steigenden Verschuldung die Vermögenden stärker besteuern muss. "Für Deutschland gehe ich davon aus, dass die Schuldenquote nicht in einem Ausmaß steigen wird, bei dem zu außergewöhnlichen Fiskalinstrumenten gegriffen werden müsste", sagte er. Weidmann will aber nicht ausschließen, dass die Bundesregierung im Jahresverlauf weitere Hilfspakete für die Wirtschaft schnüren wird.
Hinsichtlich der EZB-Geldpolitik machte Weidmann deutlich, dass er einen sehr lockeren Kurs generell für angemessen hält, sich aber ein vorsichtigeres Vorgehen gewünscht hätte. "Wir müssen auch in der Geldpolitik darauf achten, dass wir rechtzeitig wieder umsteuern, um nicht über das Ziel hinauszuschießen", sagte er.
Entscheidend sei der Preisausblick und der sei eben derzeit höchst unsicher. "Genau das war eine der Facetten unserer Diskussion: Wie lange schreiben wir den Kurs fest? Wie lange bindet er uns, und welche Probleme ergeben sich dadurch?", sagte er. Hinsichtlich des Umfangs von Anleihekäufen und des Grads der Flexibilität des Pandemiekaufprogramms PEPP werde es immer wieder einen Abwägungsprozess geben müssen, der nicht einfach sei.
Weidmann geht davon aus, dass noch lange dauern wird, bis die Zinsen wieder steigen können. Und auch dann dürfte das neue Normalniveau niedriger ausfallen als das, was man früher gewohnt war. "Wir haben es weltweit mit einem langfristigen Trend zu niedrigen Zinsen zu tun, der verschiedene strukturelle Gründe hat", sagte er.
Besonders beim Ankauf von Staatsanleihen dürfe die EZB aber ausschließlich auf den Preisausblick achten und sich nicht von der finanzielle Lage von Ländern leiten lassen. Den gezielten Ankauf von Anleihen bestimmter Emittenten nannte er einen "schmalen Grat".
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June 21, 2020 07:05 ET (11:05 GMT)
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