FRANKFURT (Dow Jones)--Das Kursdesaster der Wirecard-Aktie ist am Donnerstag komplett: Die seit dem verweigerten Testat der Wirtschaftsprüfer in der Vorwoche im freien Fall befindliche Aktie ist nach Bekanntwerden eines Insolvenzantrags des Bezahldienstleisters nochmals massiv abgestürzt. Im Tief lag der Kurs bei 2,50 Euro, nachdem die Aktie zwischenzeitlich für eine Stunde vom Handel ausgesetzt war. Zuvor hatte sie noch gut 10,70 Euro gekostet, zuletzt ging sie mit 3,13 Euro um, was gegenüber Mittwoch ein Minus von 75 Prozent bedeutet.
Vor Bekanntwerden des Bilanzskandals hatte der Kurs noch bei gut 100 Euro gelegen, das Rekordhoch erreichte das Papier kurz vor der Aufnahme in den elitären Kreis der 30 DAX-Unternehmen Anfang September 2018 mit 199 Euro.
Wirecard hat wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung Insolvenz angemeldet. Am Montag hatte Wirecard einräumen müssen, dass Bankguthaben bei zwei philippinischen Banken in Höhe von mehr als 1,9 Milliarden Euro wahrscheinlich nicht existieren. Die Finanzmarktaufsicht Bafin hatte jüngst ihren Verdacht auf Marktmanipulation durch eine falsche Darstellung der Verhältnisse bei Wirecard bei der Staatsanwaltschaft München zur Anzeige gebracht.
Für den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Markus Braun wurde von der Staatsanwaltschaft München zudem ein Haftbefehl erlassen. Unter Auflagen, wie einer Millionenkaution, wurde dieser aber außer Vollzug gesetzt.
Ausgesetzt ist weiter die 2024 fällige Anleihe von Wirecard. Sie brachte es vor der Aussetzung nur noch auf einen Wert von 17 bis 18 Prozent ihres Nominalwerts. Auf außerbörslichen Plattformen beobachteten Marktteilnehmer nach der Aussetzung Kurse um 12 Prozent.
Im September wohl Abstieg aus dem DAX
Die Tage der Wirecard-Aktie im DAX, der ersten deutschen Börsenliga, dürften nun gezählt sein, wenn auch nicht sofort. Aus derzeitiger Sicht wird Wirecard erst im September aus dem DAX entnommen, wenn die nächste Index-Überprüfung stattfindet. Dann wären Wirecard ein Kandidat für eine sofortige Entnahme (Fast Exit). Eine frühere DAX-Entnahme gibt es laut Regelwerk der Deutschen Börse nur in Ausnahmefällen: wenn der Streubesitz unter 10 Prozent fällt oder ein Insolvenzantrag "mangels Masse" abgelehnt wird. Zwingend wäre ein DAX-Abstieg auch bei einer Verletzung der Basiskriterien wie der Mitgliedschaft im Prime Standard.
"Die Deutsche Börse setzt konsequent die bestehenden Regelwerke und die gesetzlichen Vorgaben um", so ein Sprecher des Börsenbetreibers auf Anfrage. Ganz ausgeschlossen ist eine Änderung des Regelwerks allerdings nicht: "Wir überprüfen regelmäßig unsere Indexregeln, auch vor dem Hintergrund der Dynamik der vergangenen Wochen und Monate. Auch Ereignisse von einzelnen DAX-Werten fließen in unsere Überlegungen ein, sofern sich daraus sinnvolle Schlussfolgerungen für die Indexzusammensetzung ziehen lassen", sagte der Sprecher.
Im Handel heißt es dazu auch, Änderungen des Regelwerks seien im Fall Wirecard schwer durchzusetzen. Denn die Deutsche Börse könne sich hier juristisch angreifbar machen.
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June 25, 2020 06:28 ET (10:28 GMT)
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