Von Hans Bentzien
FRANKFURT/WASHINGTON (Dow Jones)--Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht nach den starken Gewinnen der vergangenen beiden Monate das Risiko einer Finanzmarktkorrektur. "Viele Aktien- und Anleihemärkte scheinen hoch bewertet - nach IWF-Modellen befindet sich die Differenz zwischen Marktbewertung und fundamentalem Wert in den meisten Industrieländern nahe an den historischen Höchstständen", heißt es im aktuellen Finanzstabilitätsbericht des IWF.
Das Auseinanderdriften von Märkten und Realwirtschaft bringt nach Ansicht des IWF das Risiko einer neuen Korrektur für den Fall mit sich, dass der Risikoappetit der Investoren schwinden sollte. Das wiederum würde die Konjunkturerholung nach der Corona-Pandemie gefährden.
Als ein Beispiel dieser Loslösung von Märkten und Realwirtschaft führt der IWF jüngste Entwicklungen in den USA an. "Die Märkte dort scheinen eine V-förmige Erholung der Aktivität zu erwarten, wie die Konsensprognose für die Gewinne der im S&P-500-Index vertretenen Unternehmen zeigt", schreibt der IWF.
IWF sieht Entkopplung von Finanzmärkten und Realwirtschaft
Dagegen deuteten jüngste Konjunkturdaten und Hochfrequenzindikatoren an, dass der Abschwung tiefer als erwartet ausfallen könnte. So hätten sich beispielsweise der S&P-500 und das vom Conference Bord erhobene Verbrauchervertrauen zuletzt in entgegengesetzte Richtungen bewegt. "Diese Entkopplung wirft die Frage nach der Nachhaltigkeit der Aktienmarktrally, wenn nicht sogar des von den Zentralbanken erzeugten Stimmungsschubs auf", warnt der IWF.
Offenbar setzten die Investoren auf eine Fortsetzung der beispiellosen Stützungsmaßnahmen der Zentralbanken. Laut IWF haben sich die Assets der zehn wichtigsten Zentralbanken seit Mitte Januar um rund 6 Billionen US-Dollar erhöht. "Dieser Anstieg ist doppelt so groß wie jener, der während der zwei Jahre nach dem Beginn der Finanzkrise im Dezember 2007 zu beobachten war", merkt der IWF an.
Gestützt wurde die Stimmung laut IWF auch von den Reaktionen der Regierungen, die weltweit nahezu 11 Billionen Dollar an Hilfen zur Verfügung stellten, in Form von Kreditgarantien, Schuldenrestrukturierungen und einer flexibleren Bankenregulierung, die die private Kreditvergabe stützen soll.
Verschiedene Ereignisse könnte Risikoneigung sinken lassen
Eine höhere Risikoaversion der Investoren könnte nach IWF-Ansicht von der Erkenntnis ausgelöst werden, dass die Rezession tiefer als erwartet ausfällt - oder auch von einer zweiten Pandemiewelle. Denkbar sei zudem, dass sich die Annahmen hinsichtlich der Zentralbankhilfen als zu optimistisch erwiesen oder dass Handelskonflikte die Marktstimmung beeinträchtigten.
Wie in früheren Berichten weist der IWF zudem auf die Gefahren hin, die sich aus der hohen Verschuldung von Unternehmen und privaten Haushalten ergeben. Diese Schulden, so der IWF, könnten in einer schwereren Rezession für einige Akteure untragbar werden. Schon jetzt seien die Ausfallraten bei Unternehmensanleihen so hoch wie zuletzt während der Finanzkrise.
Der IWF geht zudem davon aus, dass die Banken unter einer höheren Zahl von Insolvenzen leiden werden. Auch könnten Nicht-Banken wie Versicherer oder Fonds einem höheren Stress ausgesetzt sein. Zudem hätten manche Schwellen- und Entwicklungsländer derzeit ein erhöhtes Risiko, ihre externen Verbindlichkeiten zu höheren Zinsen refinanzieren zu müssen. Einige dieser Länder verfügten über keine angemessenen Reserven.
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June 25, 2020 08:30 ET (12:30 GMT)
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