BERLIN (Dow Jones)--Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft haben scharfe Kritik an den Plänen für ein nationales Lieferkettengesetz geübt. "Der ... Idee der Einführung eines nationalen deutschen Sorgfaltspflichtengesetzes erteilen wir eine Absage", erklärten der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Arbeitgeberspitzenverband BDA, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der Handelsverband Deutschland (HDE) in einer gemeinsamen Stellungnahme.
Die exportorientierte deutsche Wirtschaft befinde sich infolge der Corona-Krise "in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Es müssen nationale Sonderwege mit nationalen Belastungen vermieden werden."
Hintergrund ist die Umfrage der Bundesregierung unter deutschen Unternehmen zu menschenrechtlicher Verantwortung bei ihren Auslandsgeschäften. Am morgigen Dienstag sollen die Ergebnisse an den interministeriellen Ausschuss übergeben werden. Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums erklärte, die Antworten würden derzeit ausgewertet. Nach Angaben der Wirtschaftsverbände haben sich knapp 600 deutsche Unternehmen freiwillig an der zweiten Befragungsrunde im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) beteiligt. Das Quorum sei damit deutlich übertroffen worden. Die Umfrage lief von Anfang März bis Ende Mai.
Müller und Heil setzen weiter auf Lieferkettengesetz
Union und SPD hatten im Koalitionsvertrag vereinbart zu prüfen, inwiefern Firmen Transparenz in ihre Lieferketten bringen und schwerste Menschenrechtsverstöße bis hin zu Kinderarbeit ausschließen. Sollte eine freiwillige Selbstverpflichtung nicht ausreichen, "werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen", heißt es darin. Über den Weg dahin gab es jedoch Streit in der großen Koalition. Eine erste Befragung im vergangenen Herbst, die sehr schlechte Ergebnisse für deutsche Unternehmen offenbarte, war unter anderem nach Methoden-Kritik wiederholt worden.
Im März starteten Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) dann einen ersten Versuch, ein verbindliches Lieferkettengesetz einzuführen, scheiterten aber an Kanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (beide CDU). Müller hält trotz Pandemie an einem Gesetzentwurf fest, Eckpunkte dafür lägen bereits vor. Während der CDU-Wirtschaftsrat einen erheblichen Wettbewerbsnachteil für deutsche Unternehmen befürchtet, erhöhte die SPD den Druck. "Die Bundesregierung schließt den Monitoringprozess der vergangen Monate nun ab", erklärte SPD-Fraktionsvize Katja Mast. "Ist das Ergebnis unbefriedigend, kommt das Lieferkettengesetz wie vereinbart."
Wirtschaftsverbände kritisieren Befragungsmethodik
Die Wirtschaftsverbände kritisieren in der zweiten Befragungswelle aber erneut die geplante Umsetzung. Das Konsortium aus Beratungsunternehmen habe für die Befragung Messmethoden festgehalten, "die zu extrem verzerrenden Ergebnissen führen müssen", so die Stellungnahme. Um als "Erfüller" der abgefragten 37 Kriterien zu gelten, müsse ein Unternehmen alle diese Kriterien erfüllen und positiv auf die entsprechende Frage antworten.
"Dieses Vorgehen des Konsortiums ist, als würde man nur Schülern mit der Note 1+ ein erfolgreiches Abitur bescheinigen, also nur jenen, die zu 100 % alles bestens erledigt haben", heißt es in der Stellungnahme. Weder sei auf die Belange mittelständischer Unternehmen eingegangen noch seien genügend Möglichkeit für Erklärungen eingeräumt worden.
Statt eines Lieferkettengesetzes setzen die Wirtschaftsverbände auf stärkere Berichterstattungspflichten. Diese könnten für europäische Unternehmen um den Aspekt der menschenrechtlichen Sorgfaltsprozesse ergänzt werden.
Menschenrechtsaktivisten kritisieren Lobbying der Wirtschaft
Dagegen erklärte die Initiative Lieferkettengesetz, die Wirtschaftsverbände hätten die Befragung im Vorfeld "stark verwässert". Auf Druck von Altmaier seien etwa unvollständig ausgefüllte Fragebögen aus der Bewertung herausgenommen worden, obwohl diese Unternehmen die Anforderungen nicht erfüllt hätten. Das geht aus einer Studie der Initiative hervor, die rund 100 zivilgesellschaftliche Organisationen bündelt.
"Ein Brief von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier belegt, dass sein Haus auf Bitten der Wirtschaftslobby die Anforderungen und Methodik des Monitorings bereits im letzten Jahr zur eigenen Zufriedenheit massiv abgesenkt hatte", erklärte Studienautor Armin Paasch. "Die spätere Behauptung von Wirtschaftsverbänden, das Monitoring sei zu anspruchsvoll und auf ein Scheitern der Unternehmen angelegt gewesen, entbehrt jeder sachlichen Grundlage."
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July 13, 2020 08:21 ET (12:21 GMT)
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