
Von Andreas Kißler
KIEL/BERLIN (Dow Jones)--Der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Gabriel Felbermayr, hat die bislang bekannt gewordenen Pläne der EU-Kommission zum neuen Haushalt bis 2027 kritisiert. Das Geld zur Krisenbewältigung fließe zu spät und wirke nicht stabilisierend, Projekte mit europäischem Mehrwert seien unterfinanziert und die Finanzierung der Schuldentilgung sei unklar und dürfte "Unfrieden" stiften, bemängelte der Ökonom.
Für Deutschland würde die EU-Mitgliedschaft nach den Plänen teurer, um netto bis zu 130 Milliarden Euro in den nächsten fünf Jahren. "Bei diesem EU-Gipfel werden Weichen gestellt, die die EU über viele Jahre prägen werden. Erstmals soll sich die EU selbst verschulden, und zwar im Ausmaß von fast 6 Prozent ihres BIP." Erstmals solle Europa in der Krise eine Stabilisierungsfunktion ausüben und nicht nur langfristige Strukturpolitik finanzieren. "Die bisherigen Pläne stimmen aber skeptisch, dass dieses Ziel erreicht wird", meinte der IfW-Präsident.
Felbermayr kritisierte, 70 Prozent der Mittel flössen erst ab 2022, und sie wirkten nicht stabilisierend. Denn ein Großteil der Hilfen sei nicht an die Schwere der Rezession, sondern an die Wirtschaftsleistung der Mitgliedsländer geknüpft. Schwer getroffene Länder wie Frankreich und Irland würden so durch den Wiederaufbaufonds vermutlich sogar netto belastet, Italien erhalte deutlich weniger Hilfe als das deutlich weniger heftig von Corona betroffene Polen. Manche Länder in Osteuropa erhielten sogar mehr Geld, als sie durch die Rezession verlören.
Die EU brauche außerdem einen dauerhaften automatischen Stabilisierungsmechanismus, um für die nächste Krise gewappnet zu sein, ein atmendes EU-Budget, so dass Ausgaben in Krisen stabil blieben oder sogar stiegen. "Es besteht die Gefahr, dass die EU in der nächsten Krise wieder zu spät reagiert", warnte Felbermayr. Die bisherigen Vorschläge setzten auch falsche Schwerpunkte. Echte europäische Gemeinschaftsgüter wie Grenzschutz, Infrastruktur, Wissenschaft und Forschung blieben unterfinanziert.
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July 17, 2020 05:40 ET (09:40 GMT)
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