BERLIN (AFP)--Im Bilanzskandal beim Zahlungsdienstleister Wirecard drängt die FDP auf weitere Aufklärung. Auch nach einer Telefonkonferenz der Obleute im Finanzausschuss des Bundestages mit Staatssekretär Jörg Kukies am Donnerstagabend blieben die wesentlichen Fragen "ungeklärt", kritisierte der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Florian Toncar. "Die Darstellung des Bundesfinanzministeriums bleibt an vielen Stellen widersprüchlich oder zumindest nebulös."
So fehle eine überzeugende Begründung, "warum die Wirecard AG nicht als Finanzholding eingestuft wurde, aber aus heutiger Sicht als solche anzusehen sein soll", erklärte Toncar. Es sei auch nicht erklärlich, dass das Bundesfinanzministerium und die Finanzaufsicht Bafin "angeblich seit Februar 2019 offen auch in Richtung Wirecard ermittelt haben, es aber gleichzeitig zugelassen haben, dass sich die Bilanzprüfung bei der Wirecard AG über mehr als ein Jahr hinzog".
Wenn das Bundesfinanzministerium "die Brisanz der Vorwürfe" erkannt und richtig eingeschätzt hätte, "hätte es alles tun müssen um die Prüfung zu beschleunigen und dafür notfalls auch die gesetzlichen Grundlagen auf den Weg bringen müssen", erklärte der FDP-Politiker. "Dass das nicht geschehen ist, stützt eher die Vermutung, dass man im Bundesfinanzministerium die Dimension des Skandals vollkommen unterschätzt hat."
Offen bleibe auch weiterhin, was Staatssekretär Kukies bei seinem persönlichen Treffen mit Wirecard-Vorstand Markus Braun am 5. November 2019 in Bezug auf die konkret im Raum stehenden Vorwürfe gegen Wirecard besprochen habe. "Wir wissen bisher nur, dass darüber gesprochen wurde", erklärte Toncar. Aus seiner Sicht sei es "hoch problematisch, wenn sich der zuständige Staatssekretär mit dem Vorstandsvorsitzenden eines Unternehmens, gegen das die Finanzaufsicht wegen Marktmanipulation und falscher Bilanzen ermittelt, über ein laufendes Verfahren ohne Zeugen und ohne Protokoll unterhält".
Die Freien Demokraten würden nun "nochmals den Versuch unternehmen, über einen umfassenden Fragenkatalog und in einer Sondersitzung des Finanzausschusses des Bundestages für Aufklärung zu sorgen", fügte Toncar hinzu. Falls sich die offenen Punkte und Widersprüche auf diesem Wege nicht ausräumen ließen, "wäre aus unserer Sicht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss sinnvoll". Die deutsche Öffentlichkeit, insbesondere die vielen geschädigten Anleger, hätten einen Anspruch darauf, "zu erfahren, was die Aufsicht in Sachen Wirecard wirklich unternommen hat und wie die Verantwortlichkeiten sind."
Wirecard hatte Ende Juni Insolvenz angemeldet, nachdem das Unternehmen eingestehen musste, dass in der Bilanz aufgeführte Barmittel von 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf asiatischen Bankkonten lagen, nicht auffindbar seien. Bafin-Präsident Felix Hufeld bezeichnete die Ereignisse als eine "Schande" für Deutschland. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat als Konsequenz aus dem Bilanzskandal eine Reform der deutschen Finanzaufsicht angekündigt.
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July 17, 2020 08:11 ET (12:11 GMT)