Von Michael Denzin
FRANKFURT (Dow Jones)--Weiter auf Erholungskurs könnten Europas Aktienmärkte in der kommenden Woche gehen. Denn die Berichtssaison in Europa ist überwiegend gut verlaufen. Angesichts der coronabedingt desaströsen Erwartungen gelang es den meisten Unternehmen, die Marktprognosen zu schlagen. Die schlimmsten Befürchtungen der Analysten traten nicht ein.
Viele Anleger hatten zuvor noch an der Seitenlinie gestanden und wollten zunächst die Ausblicke der Unternehmen abwarten, bevor sie wieder zugreifen. Hier herrscht nun wieder Zuversicht, was für steigende Kurse spricht; natürlich unter dem immer selben Vorbehalt der Folgen einer "zweiten Welle" bei Corona.
Die steigenden Fallzahlen bei Neuinfektionen zeigen, dass man längst mittendrin ist. Offen ist aber der Umgang damit, daher überschlagen sich Ökonomen rund um den Globus mit der Botschaft, einen zweiten Lockdown dürfe es auf keinen Fall mehr geben.
Konjunktur macht Lust auf Aktien
Die Konjunkturdaten senden jedenfalls klare Signale, dass der Boden der Rezession im Mai bzw. Juni erreicht wurde und die Erholung läuft. So kam es selbst in Frankreich zu einer starken Erholung der Industrieproduktion und der Einbruch der spanischen Wirtschaft fiel geringer aus. In China wies die Handelsbilanz eine deutlich höhere Exportnachfrage aus. "Allesamt signalisieren diese Daten, dass nach den katastrophalen BIP-Einbrüchen im zweiten Quartal mit einer ordentlichen Gegenbewegung für das dritte Quartal gerechnet werden kann", kommentieren die Strategen der Helaba die Daten.
Damit wären die Aussichten eigentlich gut - würden sich nur nicht die USA wieder als weltweiter Störfaktor ins Spiel bringen. Sorgen macht vor allem, dass man es auch eine Woche nach Auslauf des Hilfspakets für Arbeitslose nicht geschafft hat, eine Anschlussfinanzierung auf die Beine zu stellen. Stattdessen dominiert parteipolitisches Geplänkel angesichts der bevorstehenden US-Präsidentschaftswahl.
Bidens Vizepräsidentin erwartet
Die wichtigste Weichenstellung dazu wird für nächste Woche erwartet, wenn Demokraten-Kandidat Joe Biden seine Vizepräsidentin vorstellen wird. Aufgrund des Alters von Joe Biden kalkuliert der Markt, dass sie auch irgendwann Präsidentin werden wird. Ihre politische Ausrichtung dürfte den Kurs der Börsen entscheidend bestimmen: Ist sie zu stark dem "progressiven" linkslastigen Lager verbunden, könnten die Börsen auf Tauchstation gehen.
Gleichzeitig wird befürchtet, dass das drohende Ende seiner Amtszeit zu immer unkalkulierbaren Aktionen von US-Präsidenten Donald Trump führt. Neben dem Truppenabzug aus Deutschland, den Drohungen gegen die China-App Tiktok und börsennotierte Unternehmen aus China wird vor allem die Aktion gegen Kanada mit Sorgen betrachtet: Denn Trump bewies mit dem spontan eingeführten Strafzoll auf kanadisches Aluminium, dass ihm selbst ein jüngst unterzeichneter Handelsvertrag nicht viel bedeutet.
Trump mit dem Rücken zur Wand - Alles ist möglich
Daher sollte auch nicht unterschätzt werden, wenn gleich drei US-Senatoren mit einer politisch lange nicht gesehenen Kolonialmentalität dem Fährhafen Sassnitz-Mukran auf Rügen mit wirtschaftlicher "Vernichtung" drohen, wie die Welt berichtet - denn Sassnitz liegt im Wahlkreis von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Eine abwiegelnde Reaktion der EU-Politik ist damit kaum noch vertretbar. Strategische Investoren sehen in solchen Aktionen die Keimzelle eines großen Handelskonflikts zwischen den USA und Europa.
US-Wirtschaft nur mit Billionen zu stützen - Gold vor Bullenmarkt
Kurzfristig offenbaren sich solche Sorgen im Gold und US-Dollar. Die Stützung der US-Wirtschaft erfolgt in unvorstellbaren Billionenhöhen durch die Druckerpresse der Notenbank und treibt Anleger in die Fluchtwährung Gold. Der Sprung über die 2.000-Dollar-Marke dürfte erst der Anfang sein und Gold und Silber erst am Anfang eines langen Bullenmarkts stehen, glaubt Norman Villamin, Anlagechef der Schweizer Privatbank Union Bancaire Privee (UBP).
Die USA hätten die Coronakrise nicht eindämmen können, daher müsse fiskalpolitisch eingegriffen werden. Die US-Notenbank dürfte ihre vom US-Kongress bewilligte Liquidität in Höhe von 3 Billionen Dollar auch direkt in die Märkte für Unternehmenskredite, US-Bundesstaaten und Kommunalverwaltungen pumpen. Die Gold- und Silber-Rally hätte diese Eingriffe nur vorweggenommen.
Dollar-Schwäche vor US-Wahl belastet DAX
Schlechte Nachrichten sind dies für exportorientierte Indizes wie den DAX. Strategen erwarten, dass die Trump-Administration den Dollar als Preis für die Rettung der US-Wirtschaft ungebremst fallen lasse. Denn Trump steht mit dem Rücken zur Wand: Mit mehr Corona-Toten in den USA als fast im Ersten Weltkrieg und Vietnam zusammen kann nur noch ein Wirtschaftsboom als Ablenkungsmanöver seine Wiederwahl sichern.
In der Berichtssaison zeigten aber viele Unternehmensbilanzen, dass sie mit einem Euro-Dollar-Verhältnis von 1,15 kalkulieren. Eine weitere Abschwächung des Dollars jenseits der 1,20er Marke könnte dann schnell ihre bisherigen Gewinnhoffnungen zunichte machen.
Chancen für einen gleichzeitigen Anstieg von Euro und Europa-Aktien sehen die Strategen von Barclays aber nur für den Fall, dass die BIP-Daten eine sehr starke Erholung ausweisen. Hoffnungen darauf könnten vielleicht die Konjunkturdaten der kommenden Woche machen, vor allem der Sentix- und der ZEW-Indikator als Vorboten des Ifo-Index. Dazu kommen die Daten zur Industrieproduktion aus der EU, China und den USA.
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August 07, 2020 07:46 ET (11:46 GMT)
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