
FRANKFURT (Dow Jones)--Thyssenkrupp steht trotz der aktuell hohen Mittelabflüsse nicht unter Druck, schnellstmöglich Geschäfte zu verkaufen, für die der Konzern keine nachhaltigen Zukunftsperspektiven unter seinem Dach mehr sieht. Firesales aus dem neuen Segment Multi-Tracks werde es nicht geben, sagte Finanzchef Klaus Keysberg in einer Telefonpressekonferenz. Das sei nach dem Verkauf des Aufzugsgeschäftes auch nicht erforderlich. Thyssenkrupp habe jetzt ein "komfortables Finanzpolster".
Zu den Verhandlungen mit möglichen Partnern im Stahl sagte Keysberg, hier würden Gespräche geführt, und die möglichen Optionen seien "ziemlich weit gespannt". Näher wollte er sich dazu nicht äußern. "Wir gucken uns das alles an, und dann entscheiden wir." Zuletzt hatte es Medienberichte gegeben, Vorstandschefin Martina Merz schrecke auch vor einem vollständigen Verkauf des Stahlgeschäfts nicht zurück.
Keysberg wollte nicht spekulieren, wieviel Zeit der Konzern nun hat, um die aktuellen massiven Mittelabflüsse einzelner Geschäfte zu stoppen. Es werde allerdings sehr stark daran gearbeitet, die Refinanzierbarkeit durch ein vernünftiges Rating zu verbessern, sagte er. Das müsse auch schnell geschehen. Positive Cashflows seien in diesem Zusammenhang auch wichtiger als starke Gewinnkennziffern.
Der Konzern rechnet damit, in diesem Jahr vor M&A 5 bis 6 Milliarden Euro zu verbrennen. Einmalig 2,5 Milliarden Euro werden schon dafür verbraucht, dass der Konzern künftig sein Factoring - also den Verkauf von Forderungen - von 2 Milliarden auf rund 500 Millionen Euro zurückfährt und auch die Jahresendmaßnahmen auf ein Normalmaß reduziert. Dadurch soll die Geschäftsentwicklung berechenbarer werden, so Keysberg.
Auf bis zu 1,4 Milliarden Euro könnten sich die Mittelabflüsse im Stahlgeschäft in diesem Jahr summieren, mit 1 Milliarde Euro sei bei Multi-Tracks zu rechnen, sagte Keysberg. Unter dieser Bezeichnung werden unter anderem der Anlagenbau, Powertrain Solutions oder das Geschäft mit Federn und Stabilisatoren geführt. Auch im nächsten Jahr werde dieses Segment negativen Cashflow zeigen, allerdings nicht in der bisherigen Größenordnung, so der Finanzchef. Verhandlungen mit möglichen Partnern oder Käufern für diese Geschäfte haben sich pandemiebedingt verzögert.
Keysberg wollte sich nicht dazu äußern, ob im Stahlgeschäft über die vereinbarten 3.000 Stellen hinaus weiterer Personalabbau nötig wird, um Kosten zu senken. Mit dem Abbau werde im nächsten Geschäftsjahr begonnen, die Effekte sollten sich dann nach und nach einstellen. Die Personalkosten mit 2 Milliarden Euro jährlich sind ein großer Kostenblock.
Operativ habe sich die Situation im Stahl schon verbessert: Gegenwärtig liege die Auslastung zwischen 60 und 70 Prozent, sagte Keysberg. Die Autohersteller arbeiteten wieder in zwei Schichten. Im dritten Quartal war der Umsatz um 38 Prozent eingebrochen. Dennoch fahre man angesichts der Unsicherheiten - Keysberg nannte hier das Infektionsgeschehen und die Frage von Anreizen für Neuwagenkäufe - im Geschäft mit der Autobranche auf Sicht. Es gebe Anzeichen einer Besserung, doch sei unklar, wie nachhaltig diese ausfallen werde.
Langfristig habe das Autogeschäft aber Wachstumspotenzial. Deshalb investiere der Konzern hier auch, um neue Stahlgüten produzieren zu können, die in der Zukunft verlangt werden. Die mit den Arbeitnehmern im Gegenzug für den Stellenabbau vereinbarten Zukunftsinvestitionen im Zuge der Stahlstrategie 20-30 hält Keysberg für sinnvoll. Ob die Zusagen auch bei einem Eigentümerwechsel Bestand haben werden, "dazu kann ich jetzt nichts sagen", meinte der Finanzchef.
Investiert hat der Konzern zuletzt auch in China: Für einen mittleren zweistelliger Millionen-Betrag wurde in die Erweiterung einer Anlage für Großwälzlager investiert, die in großen Offshore-Windkraftanlagen verbaut werden. Dieses Geschäft entwickle sich "völlig losgelöst" von der Corona-Krise, sagte Keysberg.
Kontakt zum Autor: olaf.ridder@wsj.com
DJG/rio/brb
(END) Dow Jones Newswires
August 13, 2020 06:23 ET (10:23 GMT)
Copyright (c) 2020 Dow Jones & Company, Inc.