MINSK (dpa-AFX) - Nach seinem Auftritt in schusssicherer Weste und mit Kalaschnikow-Maschinenpistole an seinem Palast in Minsk zieht Alexander Lukaschenko angesichts der Proteste die Zügel straffer. Bei einer Sitzung am Montag vor Beginn des neuen Schuljahres fordert der belarussische Staatschef alle Lehrer, die gegen ihn sind, auf, den Schuldienst zu verlassen. In Staatsbetrieben, in denen Teile der Belegschaft aus Protest gegen die Fälschung der Präsidentenwahl am 9. August und gegen die Polizeigewalt die Arbeit niederlegen, lässt er Streikführer festnehmen. Die Drohungen, seinen Gegnern die Lebensgrundlage zu entziehen, sind allgegenwärtig in der Ex-Sowjetrepublik.
Der Aufstand gegen "Europas letzten Diktator" geht in die dritte Woche. Die Fronten sind verhärtet. Gesprächsangebote des von der neuen Demokratiebewegung gegründeten Koordinierungsrates lässt der 65-Jährige mit Festnahmen beantworten. Die Bürgerrechtlerin Olga Kowalkowa und der Gewerkschafter Sergej Dylewski werden am Montag in Minsk in einen Gefangenentransport gesteckt, vermutlich weil sie Proteste und die Streiks organisieren.
Schon jetzt sind die Auswirkungen der Krise im Land ablesbar, etwa am Wertverlust des belarussischen Rubels. Oder an Panikkäufen ausländischer Währung in den Wechselstuben. "Je eher wir einen Dialog beginnen können, desto schneller können wir die Krise beenden", sagt Pawel Latuschko. Der frühere Kulturminister gehört dem Präsidium im Koordinierungsrat an. Und er setzt sich mit Vertretern der Zivilgesellschaft, darunter Unternehmer, Wissenschaftler und Ärzte, für einen friedlichen Machtwechsel ein.
Die Opposition blickt trotz einzelner Rückschläge zuversichtlich auf die Entwicklung. Bei den Massenprotesten am Sonntag in Minsk haben sich Menschen aller Altersklassen und Schichten versammelt - vom Hipster über den Arbeiter bis hin zum Arzt und Professor. In den Staatsmedien sehen sich diese Menschen, die für Freiheit eintreten, vom Präsidenten offiziell als "Ratten" beschimpft - für viele seiner Gegner ein klares Zeichen dafür, "dass er den Verstand verliert", wie sie so oder noch schärfer in den sozialen Netzwerken schreiben.
Die Bilder des Hubschrauber-Rundflugs mit Lukaschenko in schwarzer Montur und schusssicherer Weste am Sonntag sind in Minsk das am meisten diskutierte Thema. Viele sind entsetzt, dass er seinen 15-jährigen Sohn in vollem Militäroutfit und am Präsidentenpalast mit einer Waffe in der Hand laufen ließ.
Die Lage ist verfahren in Minsk, weil Lukaschenko auch mehr als zwei Wochen nach der von beispiellosen Betrugsvorwürfen überschatteten Präsidentenwahl weiter davon ausgeht, dass er gewonnen hat. Und jeder in Belarus fragt sich, wie es einen Ausweg aus der Krise geben kann. Militär und Sicherheitskräfte halten Lukaschenko die Treue. Aber der Politiker Latuschko sieht längst eine verbreitete innere Streikhaltung im Staatsdienst, wo gegenseitiges Vertrauen zerstört ist und viele stillhalten oder abwarten, wer am Ende gewinnt.
"Aus der heutigen Krise - der schwersten in der Geschichte des unabhängigen Belarus - gibt es keinen leichten Ausweg", meint der Minsker Analyst Artjom Schraibman. Am besten sei ein Dialog ohne Einmischung des Westens und Russlands, aber unter Vermittlung etwa der fünf im Land gegenwärtigen Konfessionen: der orthodoxen, der katholischen und der protestantischen Kirche, der Juden und Muslime. Sie könnten den inneren Dialog organisieren - ohne Gesichtsverlust für Lukaschenko oder die Opposition.
Schraibman greift dazu selbst einen Vorschlag Lukaschenkos auf, eine Reform der Verfassung in Gang zu setzen und sie durch ein Referendum unter internationaler Beobachtung absegnen zu lassen. Ziel müsse es sein, die starke Rolle des Präsidenten umzuwandeln in eine eher repräsentative. Stattdessen könne das Land mit einer neuen Verfassung zu einer parlamentarischen Republik mit einem starken Regierungschef an der Spitze gemacht werden, meint er.
Zwar gibt es in Belarus bisher keine Parteien wie etwa in Deutschland mit eigenem Profil. Doch das jetzige auf einen einzigen Menschen ausgerichtete politische System sieht Schraibman zum Scheitern verurteilt. Das "Regime", das die Präsidialverwaltung nach der international kritisierten Wahl praktisch okkupiere, werde auch wegen Geldmangels bald die Steuerungskraft verlieren, erwartet der Experte.
Noch brauche Lukaschenko in seiner "Informationsblase" Zeit und wohl noch mehr überzeugende Beweise wie neue Massenproteste und Streiks. Dann könne er nach 26 Jahren an der Macht erkennen, "dass das Land, an das er sich gewöhnt hat, so nicht mehr existiert". Die jüngsten Proteste mit zwischen 200 000 bis 400 000 Menschen seien die größten gewesen überhaupt auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums. Schraibman ist sich sicher: "Solche Proteste verschwinden niemals spurlos."/mau/DP/nas
Der Aufstand gegen "Europas letzten Diktator" geht in die dritte Woche. Die Fronten sind verhärtet. Gesprächsangebote des von der neuen Demokratiebewegung gegründeten Koordinierungsrates lässt der 65-Jährige mit Festnahmen beantworten. Die Bürgerrechtlerin Olga Kowalkowa und der Gewerkschafter Sergej Dylewski werden am Montag in Minsk in einen Gefangenentransport gesteckt, vermutlich weil sie Proteste und die Streiks organisieren.
Schon jetzt sind die Auswirkungen der Krise im Land ablesbar, etwa am Wertverlust des belarussischen Rubels. Oder an Panikkäufen ausländischer Währung in den Wechselstuben. "Je eher wir einen Dialog beginnen können, desto schneller können wir die Krise beenden", sagt Pawel Latuschko. Der frühere Kulturminister gehört dem Präsidium im Koordinierungsrat an. Und er setzt sich mit Vertretern der Zivilgesellschaft, darunter Unternehmer, Wissenschaftler und Ärzte, für einen friedlichen Machtwechsel ein.
Die Opposition blickt trotz einzelner Rückschläge zuversichtlich auf die Entwicklung. Bei den Massenprotesten am Sonntag in Minsk haben sich Menschen aller Altersklassen und Schichten versammelt - vom Hipster über den Arbeiter bis hin zum Arzt und Professor. In den Staatsmedien sehen sich diese Menschen, die für Freiheit eintreten, vom Präsidenten offiziell als "Ratten" beschimpft - für viele seiner Gegner ein klares Zeichen dafür, "dass er den Verstand verliert", wie sie so oder noch schärfer in den sozialen Netzwerken schreiben.
Die Bilder des Hubschrauber-Rundflugs mit Lukaschenko in schwarzer Montur und schusssicherer Weste am Sonntag sind in Minsk das am meisten diskutierte Thema. Viele sind entsetzt, dass er seinen 15-jährigen Sohn in vollem Militäroutfit und am Präsidentenpalast mit einer Waffe in der Hand laufen ließ.
Die Lage ist verfahren in Minsk, weil Lukaschenko auch mehr als zwei Wochen nach der von beispiellosen Betrugsvorwürfen überschatteten Präsidentenwahl weiter davon ausgeht, dass er gewonnen hat. Und jeder in Belarus fragt sich, wie es einen Ausweg aus der Krise geben kann. Militär und Sicherheitskräfte halten Lukaschenko die Treue. Aber der Politiker Latuschko sieht längst eine verbreitete innere Streikhaltung im Staatsdienst, wo gegenseitiges Vertrauen zerstört ist und viele stillhalten oder abwarten, wer am Ende gewinnt.
"Aus der heutigen Krise - der schwersten in der Geschichte des unabhängigen Belarus - gibt es keinen leichten Ausweg", meint der Minsker Analyst Artjom Schraibman. Am besten sei ein Dialog ohne Einmischung des Westens und Russlands, aber unter Vermittlung etwa der fünf im Land gegenwärtigen Konfessionen: der orthodoxen, der katholischen und der protestantischen Kirche, der Juden und Muslime. Sie könnten den inneren Dialog organisieren - ohne Gesichtsverlust für Lukaschenko oder die Opposition.
Schraibman greift dazu selbst einen Vorschlag Lukaschenkos auf, eine Reform der Verfassung in Gang zu setzen und sie durch ein Referendum unter internationaler Beobachtung absegnen zu lassen. Ziel müsse es sein, die starke Rolle des Präsidenten umzuwandeln in eine eher repräsentative. Stattdessen könne das Land mit einer neuen Verfassung zu einer parlamentarischen Republik mit einem starken Regierungschef an der Spitze gemacht werden, meint er.
Zwar gibt es in Belarus bisher keine Parteien wie etwa in Deutschland mit eigenem Profil. Doch das jetzige auf einen einzigen Menschen ausgerichtete politische System sieht Schraibman zum Scheitern verurteilt. Das "Regime", das die Präsidialverwaltung nach der international kritisierten Wahl praktisch okkupiere, werde auch wegen Geldmangels bald die Steuerungskraft verlieren, erwartet der Experte.
Noch brauche Lukaschenko in seiner "Informationsblase" Zeit und wohl noch mehr überzeugende Beweise wie neue Massenproteste und Streiks. Dann könne er nach 26 Jahren an der Macht erkennen, "dass das Land, an das er sich gewöhnt hat, so nicht mehr existiert". Die jüngsten Proteste mit zwischen 200 000 bis 400 000 Menschen seien die größten gewesen überhaupt auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums. Schraibman ist sich sicher: "Solche Proteste verschwinden niemals spurlos."/mau/DP/nas
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