DJ Deutsche Wirtschaft skeptisch zu höheren Klimazielen
Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)--Die deutsche Wirtschaft hat mit Warnungen auf die Ankündigung erhöhter EU-Klimaziele reagiert. "Verschärfte Klimaziele stellen Wirtschaft und Gesellschaft inmitten der größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg vor enorme Herausforderungen mit ungewissem Ausgang", sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf. "Verschärfte Klimaziele engen den Spielraum der von der Corona-Krise hart getroffenen Unternehmen weiter ein und belasten sie zusätzlich."
Schon um das bestehende EU-Klimaziel einer Emissionsminderung von 40 Prozent bis 2030 zu erreichen, müssten alle 27 EU-Staaten ihre Klimaschutzanstrengungen ab sofort fast verdreifachen. Eine Anhebung des Minderungsziels auf 55 Prozent wäre eine Verfünffachung der bisherigen Klimaschutzanstrengungen, erklärte Kempf. Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Achim Dercks, betonte, die deutsche Wirtschaft habe zwar "ein großes Interesse an einer erfolgreichen europäischen und internationalen Klimapolitik". Gute Klimapolitik biete für den Standort Deutschland wirtschaftliche Chancen.
"Die heute von der Europäischen Kommission auf den Weg gebrachte Verschärfung der Klimaschutzziele ist aber leider noch keine Wachstumsstrategie für Unternehmen", monierte er. Denn während die Ziele zügig angehoben würden, bleibe bei den notwendigen Rahmenbedingungen auf dem Weg hin zur Klimaneutralität noch vieles Wunschdenken. Durch die Anhebung der Ziele müssten nun Unternehmen in Deutschland absehbar mit viel höheren CO2-Kosten und strengeren Vorgaben rechnen. "Umso mehr brauchen die Betriebe große Mengen bezahlbarer und klimafreundlicher Energie wie erneuerbaren Strom und CO2-armen Wasserstoff", erklärte Dercks. Zudem benötigten die durch die Coronavirus-Pandemie gebeutelten Unternehmen zuvor die finanziellen Spielräume für die erforderlichen Investitionen in neue Technologien und Verfahren. "Für diese Mammutaufgaben gibt es bislang zu wenige praktikable Antworten." Auch beim Schutz vor Wettbewerbsverzerrungen erfülle der Plan der Kommission die Erwartungen nicht.
Gewaltige Investitionen notwendig
Die Anhebung des EU-Klimaziels dürfe "die Transformation in eine grüne Stahlproduktion nicht ausbremsen", forderte der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff. Die Stahlindustrie könne durch eine "grüne Stahlproduktion" und nachhaltige Produkte einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung des EU-Klimaziels 2030 leisten. "Hierzu sind jedoch gewaltige Investitionen in CO2-arme Technologien notwendig, für die zuerst geeignete politische Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen", betonte Kerkhoff.
So brauche es positive Investitionsanreize durch eine umfassende finanzielle Förderung sowie den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft und der notwendigen energiewirtschaftlichen Infrastruktur. Zum anderen müssten internationale Wettbewerbsnachteile verhindert werden, die zu einem Carbon Leakage, also der Verlagerung der Industrieproduktion in andere Länder mit deutlich höheren CO2-Emissionen führen würden. Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Thilo Brodtmann, betonte, die von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigte Erhöhung des Treibhausgas-Minderungsziels 2030 auf 55 Prozent zeige "erhebliche Schwächen der Klimapolitik auf". So stehe man sich mit der Fixierung auf Zielzeitpunkte selbst im Weg. "Zweitens zeigt sich, dass die EU den eigenen Instrumenten nicht traut", betonte Brodtmann. Die Kommission solle auf den Markt vertrauen und eine konsequente Bepreisung von CO2 einführen. "Dann wäre auch die Detailregelung von Emissionen in einzelnen Sektoren überflüssig."
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September 16, 2020 06:39 ET (10:39 GMT)
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