DJ DIW: Der Osten steht wirtschaftlich weiter vor großen Herausforderungen
Von Andrea Thomas
BERLIN (Dow Jones)--Die wirtschaftliche Bilanz für Ostdeutschland fällt 30 Jahre nach Wiedervereinigung aus der Sicht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) gemischt aus. Zwar habe die frühere DDR stark aufgeholt, aber die Region bleibe weiter "deutlich" hinter der westdeutschen zurück. Der Osten stehe daher weiter vor "großen Herausforderungen", so das DIW. Obwohl die Haushalte in ostdeutschen Flächenstaaten mehrheitlich schwarze Zahlen schrieben, seien sie äußert finanzschwach. Der Sparzwang werde auch die nächsten Jahrzehnte anhalten.
"Die Unterschiede in der Finanzkraft zwischen Ost und West dürften sich in Zukunft wieder verstärken", erklärte DIW-Studienautorin Kristina van Deuverden. Die Ursache dafür liegt laut DIW hauptsächlich in der alternden und schrumpfenden Bevölkerung in Ostdeutschland. Die sinkende Zahl an Einwohnern belaste nicht nur das Wirtschaftswachstum und damit die öffentlichen Haushalten, sie reduziere vor allem auch den Anspruch der neuen Länder am gesamtdeutschen Steuerkuchen.
Ein DIW-Szenario für 2050 ergab, dass die öffentlichen Ausgaben in den neuen Ländern jedes einzelne Jahr wohl um einen Prozentpunkt hinter denen in den alten zurückbleiben müssten. Grund dafür sei die schrumpfende Bevölkerung Ostdeutschlands, die geltenden Regeln zur Verteilung der Steuereinnahmen sowie die geltenden Schuldenregeln.
"Dies setzt die neuen Länder unter permanenten Sparzwang und verhindert notwendige Investitionen und regionale wachstumsfördernde Maßnahmen", sagte van Deuverden. "Abhilfe schaffen könnte eine Reform des Finanzausgleichs, wenn dieser künftig den Bevölkerungsschwund bei der Verteilung der Steuereinnahmen berücksichtigt."
Produktivität im Osten noch immer niedriger
Seit der Wiedervereinigung vor 30 Jahren sei die Produktivität in Ostdeutschland zwar gestiegen, aber sie sei noch nicht auf westlichem Niveau angekommen. Der Rückstand im industriellen Sektor lag bis 2014 bei gut 20 Prozent. Gemessen an der Bruttowertschöpfung je Einwohner liegt die Wirtschaftskraft aktuell bei etwa 80 Prozent des westdeutschen Niveaus, so das DIW.
Der Aufholprozess insbesondere für kleinere ostdeutsche Firmen dürfte nur langsam von statten gehen. Denn anders als im Westen gebe es in Ostdeutschland nur wenige kleine Firmen mit hohem technologischen Spezialisierungsgrad. Bei den größeren Firmen sei die Lage gemischt. Einige größere Unternehmen arbeiteten bereits heute zum Teil deutlich produktiver als ihre westlichen Konkurrenten. Allerdings sieht das DIW diese Unternehmen als die Ausnahme.
Dennoch zeigt sich das DIW hier optimistisch. "Wir beobachten derzeit eine hohe Dynamik industrieller Gründungen in ostdeutschen Großstädten", so DIW-Studienautorin Heike Belitz. "Diese werden aber erst in den kommenden Jahrzehnten Früchte tragen." Die Produktivitätslücke könnte laut DIW auch schneller geschlossen werden, wenn mehr größere leistungsfähige und zukunftsträchtige Unternehmen in den neuen Ländern angesiedelt werden. Ein Musterbeispiel dafür sieht das Berliner Institut im E-Auto-Hersteller Tesla mit seiner Niederlassung in Brandenburg.
Deutliche Verbesserungen im Wohnungsmarkt
Auf dem Wohnungsmarkt ist laut DIW 30 Jahre nach der Wiedervereinigung die Kluft zwischen West und Ost weitgehend überbrückt. Zwar seien die Mieten mit der Liberalisierung des Wohnungsmarkts in Ostdeutschland deutlich gestiegen. Gleichzeitig zeigten die Bewohner sich aber zufriedener.
DIW-Studienautor Konstantin Kholodilin führte dies darauf zurück, dass sich der ostdeutsche Rückstand bei der Pro-Kopf-Wohnfläche von 1990 bis 2018 von 12 Quadratmetern pro Person auf 4 Quadratmeter deutlich reduziert habe. "Mit Blick auf die Entwicklung der ostdeutschen Wohnungswirtschaft nach 1990 lässt sich sagen, dass die Vorteile für die Bevölkerung größer als die Nachteile sind", so Kholodilin.
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September 23, 2020 04:38 ET (08:38 GMT)
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