DJ Ärger um fünften Zeugen vor Scheuers Befragung zum Maut-Debakel
BERLIN (Dow Jones)--Im Skandal um die Pkw-Maut spitzt sich der Konflikt zwischen Regierung und Opposition weiter zu. Die Koalition versuche die für Donnerstag angesetzte Befragung von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) "zu torpedieren", erklärte der Grünen-Verkehrspolitiker Stephan Kühn auf Anfrage von Dow Jones Newswires. Hintergrund ist, dass die CDU-/CSU-Fraktion im Untersuchungsausschuss sehr kurzfristig einen weiteren Zeugen auf die Tagesordnung setzen ließ, der geeignet ist, Scheuer zu entlasten. In der Ausschusssitzung geht es auch um die Frage, ob der CSU-Politiker dem Parlament die Wahrheit gesagt hat.
Nach dem Wunsch der Union soll nun auch Scheuers früherer Staatssekretär Gerhard Schulz (parteilos) gehört werden, der als "Mr. Maut" bekannt wurde und seit März 2019 Geschäftsführer der Maut-Betreiberfirma Toll Collect ist. Die Tagesordnung des Ausschusses wurde allerdings bereits am 18. September festgesetzt. Demnach waren für Donnerstag ab 10:30 Uhr neben Scheuer lediglich drei weitere Zeugen vorgesehen - und zwar die Vertreter der Maut-Betreiberfirmen. Zuerst sollte Autoticket-Geschäftsführer Volker Schneble befragt werden, gefolgt vom Vorstandsvorsitzenden des deutschen Konzertveranstalters und Ticketverkäufers CTS Eventim, Klaus-Peter Schulenberg, sowie dem Chef des österreichischen Mautsystemanbieters Kapsch TrafficCom, Georg Kapsch. Ganz am Ende wollten die Abgeordneten dann Scheuer anhören.
Manöver sei ein "durchsichtiger Versuch", monieren die Grünen
Dass "entgegen aller Absprachen" mit Ex-Staatssekretär Schulz nun ein fünfter Zeuge geladen werden soll, sei "der durchsichtige Versuch, Scheuers politische Haut zu retten", erklärte Grünen-Verkehrspolitiker Kühn. "Offenbar ist die Lage für ihn so ernst, dass die Koalition dringend einen vermeintlichen Entlastungszeugen braucht." Kritik äußerte der Obmann im Untersuchungsausschuss auch an der SPD. Dass der Koalitionspartner diesen Schritt mittrage, "zeigt, wie sehr die Unionsfraktion sie mit dem Wirecard-Untersuchungsausschuss und ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz in der Hand hat", so Kühn. "Für uns ist klar, hätte Scheuer nichts zu verbergen, wären solche Aktionen der Koalition nicht notwendig."
Die Unionsfraktion wies die Kritik umgehend zurück. "Die Reaktion der Opposition zeigt, dass sie an der Wahrheitsfindung kein Interesse hat, zumal der Beweisbeschluss für diesen Zeugen seit Monaten vorliegt", erklärte der Verkehrspolitiker Ulrich Lange (CSU). Die Union lege Wert darauf, sowohl den Minister als auch den ehemaligen Staatssekretär zu befragen, der bei den Gesprächen zugegen gewesen sei. "Wenn die Opposition kein Interesse hat, bereits beschlossene Zeugen zu hören, dann zeigt dies nur, wie wenig ihr an der Aufklärung liegt."
Sitzung könnte sich bis Mitternacht hinziehen
In der SPD-Fraktion geht man inzwischen davon aus, dass sich die Ausschusssitzung aufgrund der zusätzlichen Zeugenvernehmung bis Mitternacht hinziehen kann. Bereits vor einem Jahr hatte der Spiegel berichtet, dass die Maut-Betreiber Scheuer angeboten hätten, den Betreibervertrag erst nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu unterschreiben. "Der Minister hat vor dem Parlament jedoch klipp und klar gesagt, dass es dieses Angebot nicht gab", erklärte SPD-Verkehrspolitikerin Kirsten Lühmann. "Wir versuchen nun zu klären, ob die privaten Betreiber dem Minister angeboten haben, den Betreibervertrag erst nach dem EuGH-Urteil zu unterschreiben, oder ob die Aussage des Ministers vor dem Parlament zutrifft, dass es ein solches Angebot nicht gab."
Lühmann erwartet, dass die Zeugen des Maut-Konsortiums ihre Sicht bekräftigen: "Ich gehe ich stark davon aus, dass die Betreiber morgen bei ihrer Darstellung bleiben, es habe das Angebot gegeben, mit der Vertragsunterzeichnung bis nach dem Urteil abzuwarten." In diesem Fall dürften die Abgeordneten viele Fragen an Scheuer haben.
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September 30, 2020 12:28 ET (16:28 GMT)
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