
DJ EZB würde Überschreiten des Inflationsziels hinnehmen
Von Tom Fairless
FRANKFURT (Dow Jones)--Die Europäische Zentralbank (EZB) würde ein Überschreiten ihres Inflationsziels hinnehmen, das geht aus einem Interview des Wall Street Journals mit dem Chef-Volkswirt der Notenbank, Philip Lane, hervor.
Die Wirtschaft der Eurozone stehe vor einer schwierigen Phase, nach einer anfänglichen Erholung von dem kräftigen Einbruch im Frühjahr, wobei die Inflation noch immer viel zu niedrig sei, sagte Lane in dem Interview.
"Die bevorstehende Phase wird härter werden", so Lane. Das derzeitige Inflationsniveau bleibe weiter deutlich hinter dem Ziel von knapp unter 2 Prozent zurück. Im September fiel die Inflationsrate der Eurozone auf minus 0,3 Prozent.
Obwohl sich die Wirtschaftsentwicklung in der Eurozone verlangsamt hat - was Sorgen hinsichtlich einer möglichen sogenannten Double-Dip-Rezession aufkommen lässt, hat der Euro seine jüngsten Gewinne gegenüber dem Dollar und anderen Währungen gehalten.
Dies spiegelt zum Teil die Befürchtungen von Anlegern wieder, dass die EZB weniger Spielraum für Zinssenkungen hat - was den Euro tendenziell schwächen würde - als andere Zentralbanken wie die Fed.
Auch deshalb, weil die US-Notenbank im August erklärt hat, die Inflation bei durchschnittlich 2 Prozent zu halten, d.h. sie würde ein zeitweises überschreiten ihres Ziels zulassen, wenn die Inflation zuvor längere Zeit deutlich darunter gelegen hat.
Die EZB hingegen strebt eine Inflation von knapp unter 2 Prozent an, wobei sie dieses Ziel in den vergangenen zehn Jahren größtenteils verfehlt hat. Die Notenbank überprüft ihre Zielsetzung zwar derzeit, doch ein Ergebnis wird nicht vor dem nächsten Jahr erwartet.
EZB hat ähnliche Inflationsstrategie wie die Fed
Lane ist der Ansicht, dass die EZB bereits eine Inflationsstrategie verfolgt, die dem neuen Ansatz der Fed ähnlich ist. "Ich sehe nicht, dass die EZB eine strukturell straffere Ausrichtung der Geldpolitik verfolgt" als die Fed, so der Chef-Volkswirt. Seine Anmerkungen lassen darauf schließen, dass weniger interne Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Notwendigkeit weiterer geldpolitischer Maßnahmen bestehen, als Investoren annehmen.
Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, hatte erst kürzlich signalisiert, dass er hinsichtlich eines Überschreitens des Inflationsziels, nach einer Phase niedriger Inflation skeptisch sei. Lane hingegen sagt, eine solche Strategie sei bereits durch die Leitlinien der EZB impliziert, die eine "Verpflichtung zur Symmetrie" betone.
Die wirtschaftliche Erholung der Eurozone hat sich in den vergangenen Wochen verlangsamt angesichts einer zweiten Corona-Welle, die neue Restriktionen mit sich bringt.
Die EZB wird Lane zufolge die Wirtschaftsentwicklung im Herbst sorgfältig beobachten, um zu entscheiden, ob sie ihre geldpolitischen Maßnahmen ausweitet.
"Die große Frage, und deshalb gibt es so viel Unsicherheit, ist: 'Wie schnell kann die gegenwärtige Dynamik mit steigenden Fällen stabilisiert werden'", so Lane.
Die Entscheidung über neue Maßnahmen müsse "Sitzung für Sitzung" getroffen werden. "Wohin geht die Inflation? Denn wenn die Inflationserwartungen bei 1,3% (im Jahr 2022) bleiben, dann ist das weit von unserem Ziel entfernt".
Entscheidung über Anleihekäufe könnte in kommenden Wochen fallen
Viele Ökonomen erwarten, dass die EZB auf ihrer Sitzung am 10. Dezember weitere Anleihekäufe ankündigen wird. Der Chef-Volkswirt deutet an, dass eine Entscheidung in den kommenden Wochen getroffen werden könnte, sobald neue Daten zur Verfügung stehen, u.a. über die Entwicklung der Ölpreise, den Euro-Wechselkurs und die Haushaltspläne der europäischen Regierungen im nächsten Jahr.
Während eine Erhöhung der Anleihekäufe der EZB, unter den gegenwärtigen Umständen eine größere Wirkung entfalten würde, bleibe auch eine Zinssenkung auf dem Tisch, sagt Lane.
Lane warnt die europäischen Regierung davor, dass die Maßnahmen der EZB nicht ewig andauern werden, und dängt auf Senkungen der Staatsverschuldung, sobald die Krise es zulasse. Die EZB werde ihre Anleihebestände wieder reduzieren, wenn die Umstände es erlauben.
"Man muss Spielraum in guten Zeiten schaffen, wenn sich die europäische Wirtschaft erholt", so Lane. "Wir wollen, dass die Schuldenquoten bis zu einem gewissen Grad gesenkt werden." Diese Botschaft müsse gegeben werden.
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October 11, 2020 10:12 ET (14:12 GMT)
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