DJ UPDATE/BVerfG-Rüge wegen Atomgesetznovelle - Vattenfall-Klage erfolgreich
--16. Atomgesetznovelle von 2018 verfassungswidrig
--Novelle schon wegen fehlender EU-Genehmigung nie in Kraft getreten
--Vattenfall begrüßt Urteil "uneingeschränkt"
(Neu: mehr Details, Reaktionen Vattenfall und RWE)
Von Petra Sorge
BERLIN (Dow Jones)--Die im Zuge des Atomausstiegs erlassenen Entschädigungsregeln für die Energiekonzerne sind gesetzeswidrig. Das Bundesverfassungsgericht erklärte das 2018 erlassene Atomgesetz für "ungeeignet", um eine bereits zuvor von den Karlsruher Richtern "festgestellte Grundrechtsverletzung zu beheben". Es bestätigte damit eine Klage des schwedischen Energieversorgers Vattenfall. Zudem sei die 16. Novelle des Atomgesetzes wegen formeller Fehler "schon nicht in Kraft getreten". Vattenfall erklärte, es begrüße die Entscheidung "uneingeschränkt".
Konkret monierten die Richter, dass für die Gesetzesnovelle keine Genehmigung durch die EU-Kommission vorlag. Diese hätte "lediglich eine unverbindliche Einschätzung" gegeben.
Bereits 2016 forderte Gericht angemessene Entschädigung für Konzerne
Das Gericht hatte zwar den beschleunigten Atomausstieg bis 2022 infolge der Katastrophe von Fukushima nach Klagen von Eon, RWE und Vattenfall 2016 grundsätzlich für verfassungsgemäß erklärt. Allerdings müssten die Konzerne für Reststrommengen entschädigt werden, die ihren Atomkraftwerken beim ersten Atomausstiegsbeschluss 2002 zunächst zugeteilt und 2011 wieder gestrichen wurden.
Nach dem Urteil änderte der Bundestag 2018 das Atomgesetz und beschloss die nun unwirksamen Entschädigungen. Demnach müssten die Betreiber der betroffenen Atomkraftwerke vor einem möglichen finanziellen Ausgleich erst versuchen, die Reststrommengen zu verkaufen.
Vattenfall legte dagegen Verfassungsbeschwerde ein, weil das Unternehmen keine Möglichkeit mehr sah, die Strommengen in seinen Kraftwerken Krümmel und Brunsbüttel noch herzustellen. Der Konzern erklärte nun, die Atomgesetz-Novelle sei "den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht einmal im Ansatz gerecht geworden, sondern hat die massiven Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Energieversorgern noch einmal verschärft". Eine Neuregelung bedürfe aus Sicht des Gerichts "substantieller Nachbesserungen", so der Konzern.
"Insbesondere muss Vattenfall dafür entschädigt werden, dass die vom Gesetzgeber zugewiesenen Reststrommengen nicht zu angemessenen Bedingungen verwertet werden konnten." Das Unternehmen hofft nun auf Ausgleichszahlungen in Millionenhöhe im Jahr 2023.
Vattenfall klagt auch vor einem Washingtoner Schiedsgericht gegen Atomausstieg
Wegen des Atomausstiegs führt Vattenfall derzeit auch ein privates Schiedsgerichtsverfahren in Washington. Das Unternehmen fordert in diesem Verfahren von der Bundesrepublik 4,4 Milliarden Euro, inklusive Zinsen sind es inzwischen sogar 6,1 Milliarden Euro. Die Klage, die an dem Schiedsgericht seit 2016 läuft, hatte Vattenfall bereits 2012 eingereicht.
Der nicht direkt an dem Verfahren vorm Bundesverfassungsgericht beteiligte Energieversorger RWE reagierte ebenfalls positiv auf das Urteil. "Nach erster Einschätzung wird sich unsere Rechtsposition definitiv nicht verschlechtern", erklärte Finanzvorstand Markus Krebber anlässlich einer Telefonkonferenz zur Bilanz. Bislang habe RWE im Zusammenhang mit dem Atomausstieg noch keine Entschädigung von der Bundesregierung erhalten.
Das Bundesumweltministerium war auf Anfrage von Dow Jones Newswires zunächst nicht für eine Reaktion zu erreichen.
(Mit Material von AFP)
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November 12, 2020 04:57 ET (09:57 GMT)
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