
DJ Rechnungshof meldet beim Haushalt verfassungsrechtliche Bedenken an
Von Andrea Thomas
BERLIN (Dow Jones)--Der Bundesrechnungshof übt erneut scharfe Kritik an der Haushaltspolitik der Bundesregierung. Besonders stoßen sich die Prüfer daran, dass der Bund vorhandene finanzielle Rücklagen nicht nutze, um die Höhe der Notfallkredite im Zusammenhang mit der Corona-Krise zu begrenzen. "Die Strategie der Bundesregierung lässt sich dahingehend zusammenfassen: 'Schone Rücklage, erkläre Notlage'", monierten die Prüfer des Rechnungshofs. "Diese Handlungsweise beschädigt die Wirkung der Schuldenregel und ist daher verfassungsrechtlich bedenklich."
Außerdem sei die Schuldenpolitik "riskant", bekannte Haushaltsrisiken würden ausgeblendet und Konsolidierungsansätze fehlten. Auch würden Ausnahmen von der Schuldenregel übermäßig in Anspruch genommen und die Finanzplanungsjahre 2022 bis 2024 mit erheblichen Lücken versehen.
"Eine solche schuldenaffine Strategie ist riskant. Sie kann auf Dauer nur gutgehen, wenn das Zinsniveau auf niedrigem Stand bleibt", mahnte der Bundesrechnungshof in seinem 55-seitigen Bericht für den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags. Dieser hat jüngst den Bundeshaushalt für 2021 beschlossen. Dieser sieht wegen der coronabedingten hohen Finanzhilfen eine Neuverschuldung des Bundes von 179,82 Milliarden Euro vor.
Bemühen zur Begrenzung der Kreditaufnahme nicht erkennbar
Zusammen mit den für 2020 veranschlagten neuen Krediten von 218 Milliarden erhöhten nun die Schuldenpläne für 2021 die seit Bestehen der Bundesrepublik über alle Finanzkrisen hinweg aufgebaute Bundesschuld auf einen Schlag um mehr als 30 Prozent. "Dies ist ein einmaliger Vorgang. Die von der Bundesregierung gezogenen Vergleiche zur Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 greifen daher zu kurz", so der Rechnungshof.
Ein Bemühen, die Kreditaufnahme auf das notlagenindizierte Maß zu begrenzen, sei "nicht erkennbar". So seien Konsolidierungsansätze nicht vorhanden. Der erforderliche enge Zusammenhang zwischen der höheren Kreditaufnahme und der außergewöhnlichen Notsituation sei zudem nicht bei jeder Maßnahme nachvollziehbar.
Die Finanzplanung lasse auch nicht erkennen, wie die vor der Corona-Krise bereits bekannten finanzwirtschaftlichen Herausforderungen angegangen werden sollen. Dazu zählte der Rechnungshof etwa die Folgen des demographischen Wandels für die Handlungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme, die Übernahme der versicherungsfremden Leistungen, insbesondere aus der gesetzlichen Rentenversicherung, durch den Bundeshaushalt sowie den Umbau von Gesellschaft und Wirtschaft im Hinblick auf den Klimawandel.
Überveranschlagung bei der Kreditaufnahme
Bereits für den 2. Nachtragshaushalt 2020 habe man eine "erhebliche Überveranschlagung" konstatiert, erklärten die Prüfer. Dieser Befund dürfte sich zum Jahresende 2020 bestätigen.
Besser wäre es daher, auf Haushaltsentscheidungen ohne belastbare Faktenlage zu verzichten und sich stattdessen auf die Berücksichtigung der jetzt absehbaren Krisenbekämpfungsmaßnahmen im Haushalt 2021 zu konzentrieren. Im Frühjahr 2021 könnte dann bei nachgewiesenem Bedarf mit einem Nachtragshaushalt 2021 auf Basis aktueller Daten - insbesondere des Haushaltsabschlusses 2020 - wenn nötig nachgesteuert werden.
Deckungslücke von rund 130 Milliarden
Für die Jahre 2022 bis 2024 wiesen die Haushaltspläne zudem erhebliche Lücken auf. Insgesamt sieht der Rechnungshof für diese Jahre eine strukturelle Deckungslücke von insgesamt rund 130 Milliarden Euro. Diese müsse gegebenenfalls vollständig durch neue Kredite abgedeckt werden. "Die Finanzplanung ist damit nicht tragfähig, verfehlt ihren Zweck als mittelfristiges Planungsinstrument und überlässt schmerzhafte Konsolidierungsschritte der kommenden Bundesregierung", kritisierten die Prüfer.
Auch mahnten sie, dass die Jahre der anstrengungslosen Haushaltskonsolidierung dank fallender Zinsausgaben und steigender Steuereinnahmen vorbei seien. Dabei könnte die aktuell schwierige Haushaltslage nicht allein auf die Corona-Krise zurückgeführt werden. Vielmehr sei die aktuelle Haushaltslage auch das Resultat einer "schon vor der Krise verfolgten expansiven Ausgabenlinie, falscher Prioritätensetzungen sowie über Jahre unterlassener Konsolidierungsmaßnahmen z. B. bei den Steuersubventionen und sonstigen Steuervergünstigungen", monierte der Bundesrechnungshof.
Insgesamt sei die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen bei allen Gebietskörperschaften gefährdet. Denn auch die Länder verfolgten zum Teil Maßnahmen mit dem Effekt der Aushebelung oder zumindest Schwächung der Schuldenbremse sowie tragender Haushaltsgrundsätze. "Dies gefährdet die Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte insgesamt", warten die Prüfer in ihrem Bericht.
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November 27, 2020 06:58 ET (11:58 GMT)
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