BRÜSSEL (dpa-AFX) - Die EU-Staaten haben sich auf einem mehr als 21-stündigen Marathongipfel auf ein neues Ziel beim Klimaschutz und zusätzliche Sanktionen gegen die Türkei verständigt. Die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs vom Freitag sehen vor, den Ausstoß von Treibhausgasen in der Europäischen Union bis 2030 um 55 Prozent unter den Wert von 1990 zu drücken. Die neuen Strafmaßnahmen gegen die Türkei werden wegen nicht genehmigter Erdgaserkundungen vor Zypern verhängt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich nach dem Treffen in Brüssel erleichtert - vor allem über die Einigung auf das neue Klimaschutzziel. "Ich möchte mir nicht ausmalen, was gewesen wäre, wenn wir ein solches Ergebnis nicht hätten erreichen können", sagte die CDU-Politikerin. "Dafür hat es sich gelohnt, eine Nacht nicht zu schlafen."
Das Pariser Klimaabkommen von 2015 sieht vor, dass die Erderwärmung bei unter zwei Grad gestoppt wird - möglichst sogar bei 1,5 Grad, gemessen jeweils an der vorindustriellen Zeit. Dafür reichen die bisherigen Zusagen der rund 190 Mitgliedsstaaten aus aller Welt aber nicht. Deshalb ist im Vertrag vorgesehen, dass alle fünf Jahre nachgebessert wird.
Für die EU mit ihren insgesamt 27 Mitgliedern ist das 55-Prozent-Ziel eine Etappe auf dem Weg, bis 2050 klimaneutral zu werden. Das bedeutet: alle Treibhausgase zu vermeiden oder zu speichern. Bislang gilt im Vergleich zu 1990 eine Zielmarke von 40 Prozent.
Im Detail mussten allerdings wieder einmal viele Kompromisse gemacht werden. So bestanden mehrere Staaten darauf, dass die Stromerzeugung mit Erdgas als sogenannte Übergangstechnologie anerkannt wird und damit förderungsfähig ist. Nach Ansicht der Umweltschutzorganisation Greenpeace ist das fürs Klima katastrophal.
Auf dem Weg zu einem Konsens hatten die Staats- und Regierungschefs die ganze Nacht durchverhandelt. Nach der Einigung auf die Türkei-Sanktionen um kurz nach Mitternacht dauerte es noch einmal acht Stunden, um dei Verständigung beim Klimaschutz zu erzielen. Für Merkel war der Gipfel besonders wichtig, weil er der letzte unter der halbjährigen EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands war.
Bereits am Donnerstag hatte es eine endgültige Einigung auf den EU-Haushalt für die nächsten sieben Jahre und die milliardenschweren Corona-Hilfen gegeben. Das 1,8 Billionen Euro schwere Finanzpaket war zuletzt wegen eines Vetos von Ungarn und Polens wochenlang blockiert. Erst mit einer von Deutschland ausgehandelten Zusatzerklärung konnte es zurück in die Spur gebracht werden. "Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen", kommentierte Merkel.
Die Zusatzerklärung brachte Polen und Ungarn schließlich zum Einlenken. Beide Länder hatten befürchtet, dass ein neuer Mechanismus zur Ahnung von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit darauf abzielen soll, ihnen wegen umstrittener politischer Projekte EU-Mittel kürzen zu können. Mit der Erklärung wurde nun klargestellt, wie der Mechanismus im Zweifelsfall angefochten werden kann.
Ernüchtert äußerte sich Merkel darüber, dass es ihr nicht gelungen ist, die Türkei zu einem politischen Kurswechsel zu bewegen. "Das war aus dem Blickwinkel der deutschen Ratspräsidentschaft doch etwas enttäuschend", sagte sie. "Wir hatten uns hier etwas mehr vorgenommen, das will ich ganz offen sagen." Die Bundesregierung hatte neue Sanktionen eigentlich abwenden wollen, die Türkei war aber nicht ausreichend auf Dialogangebote eingegangen.
Der Beschluss sieht nun vor, in den kommenden Wochen weitere Beteiligte an der umstrittenen türkischen Suche nach Erdgas vor Zypern mit Vermögenssperren und EU-Einreiseverboten zu belegen. Weitreichendere Schritte wie Sanktionen gegen ganze Wirtschaftszweige könnten beim nächsten EU-Gipfel im März auf den Weg gebracht werden. Entsprechende Forderungen von Ländern wie Griechenland, Österreich oder Frankreich fanden bei diesem Gipfel noch nicht die erforderliche einstimmige Unterstützung.
Vor allem Frankreich argumentiert, dass der Türkei nicht nur wegen der Erdgaserkundungen im östlichen Mittelmeer Einhalt geboten werden muss, sondern auch wegen Provokationen im Konflikt um die Teilung Zyperns, Verstößen gegen das UN-Waffenembargo gegen Libyen und Einmischung in den Konflikt um Berg-Karabach.
Themen wie die Innere Sicherheit, die künftigen Beziehungen zu den USA und Reformpläne für die Eurozone spielten zum Abschluss des Gipfels nur noch eine untergeordnete Rolle. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zeigte sich aber sehr erfreut über die Schlussfolgerungen zum Thema Terrorismus. Sie sehen vor, dass nach den jüngsten Anschlägen in Wien, Nizza und Dresden verstärkt auf die Speicherung von Telefon- und Internet-Verbindungsdaten gesetzt wirdl.
Mit Blick auf die Eurozonen-Plänen wurden die Finanzminister von den Gipfelteilnehmern aufgefordert, einen konkreten Plan zur Vollendung der Bankenunion aufzustellen. Von der EU-Kommission erbaten die Staats- und Regierungschefs einen neuen Aktionsplan, um auch die Kapitalmarktunion voranzubringen. Ohne große Diskussionen wurde zudem die Verlängerung der Wirtschaftssanktionen der EU gegen Russland wegen des andauernden Ukraine-Konflikts beschlossen./wim/aha/DP/nas