
DJ Berater empfehlen Bundesregierung Abschaffung der Minijobs
Von Andrea Thomas
BERLIN (Dow Jones)--Ein Beratergremium der Bundesregierung empfiehlt die stufenweise Abschaffung von Minijobs und eine bessere soziale Absicherung von Soloselbständigen und Selbständigen. Der Arbeitswelt-Bericht 2021, der jährlich ausgewählte Entwicklungen der Arbeitswelt darstellt und die dahinterliegenden Zusammenhänge einordnet, wurde am Mittag Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) übergeben.
Darin mahnt der Rat zudem, dass man aufgrund des wachsenden Anteils am mobilen Arbeiten der Gefahr einer Entgrenzung zwischen Arbeitszeit und Freizeit entgegenwirken müsse. In seinem 252 Seiten langen Bericht beschäftigt sich der Rat schwerpunktmäßig mit den Folgen der Corona-Pandemie für die Arbeitswelt und dem generellen Wandel der Arbeitsbedingungen.
Minijobs nicht mehr zeitgemäß
Während der Corona-Pandemie sei es zu einem drastischen Rückgang der geringfügigen Beschäftigung gekommen. Der Rat kommt daher zu dem Schluss, dass die Sonderstellung von Minijobs nicht mehr zeitgemäß sei und empfiehlt die stufenweise Abschaffung der geringfügigen Beschäftigung. Bei diesen sogenannten 450-Euro-Jobs müssen weder Steuern noch Beiträge für Arbeitslosen- und Krankenversicherung abgeführt werden.
"Die Hoffnung, dass die Minijobs, wie politisch erwartet, eine Brückenfunktion ausüben, hat sich nicht erfüllt", heißt es in dem Bericht. "Außerdem birgt die geringfügige Beschäftigung das große Risiko, dass das Arbeitskräftepotenzial nicht adäquat ausgeschöpft und der Wettbewerb zwischen den Unternehmen im gewerblichen Bereich erheblich verzerrt wird."
Wo rechtliche Rahmenregelungen nicht eingehalten und den Beschäftigten rechtliche Ansprüche vorenthalten würden, seien geringfügig Beschäftigte oftmals Missbrauch ausgesetzt. Das Beratergremium der Bundesregierung schlägt vor, dass existierende geringfügige Beschäftigungsverhältnisse weiter einen Vertrauens- und Bestandsschutz genießen sollten. Allerdings sollten neu geschlossene Teilzeitbeschäftigungen mit kleinem Arbeitszeitvolumen grundsätzlich steuer- und abgabenpflichtig werden.
Dabei solle es Ausnahmen geben für Schüler, Studenten und Rentner. Ebenso sollten für Tätigkeiten im Ehrenamt und in Privathaushalten Lösungen angestrebt werden, die den derzeit geltenden Rahmenregelungen gleichgestellt seien.
Handwerksverband gegen Abschaffung von Minijobs
Wenig von den Vorschlägen hält der Handwerksverband. Die sukzessive Abschaffung der Minijobs sei "nicht notwendig und auch nicht zielführend", sagte der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Peter Wollseifer, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Minijobs trügen zur Flexibilität im Beschäftigungsbereich bei, gerade in kleinen Betrieben. Dies betreffe vor allem die Lebensmittel- und Dienstleistungsgewerke, zum Beispiel bei der personellen Besetzung bei Wochenend- und Randzeiten im Bäckerei- und Fleischereiverkauf.
"Ohne den Vorteil für die Minijobber, ihren Lohn 'brutto für netto' zu erhalten, würde man wohl kaum mehr eine ausreichende Zahl von Beschäftigten für diese Tätigkeiten finden", sagte Wollseifer.
Verletzliche Selbständige
Der Bericht thematisiert auch die in der Corona-Pandemie besonders hervorgetretene Vulnerabilität der Soloselbständigen. Hier seien viele von einer finanziellen Notlage betroffen, das sie häufig keine ausreichenden Rücklagen zur Abfederung der Einkommensausfälle besäßen. Daher müssten nun die Weichen für eine angemessene soziale Absicherung neu gestellt werden.
Möglichkeiten der individuellen sozialen Absicherung für diese Gruppe könnten von Gründungsinteressierten entweder als unzureichend oder im Vergleich zur abhängigen Beschäftigung als zu unattraktiv betrachtet werden, heißt es in dem Bericht.
Daher sollte (Solo)-Selbstständigen der Zugang zu einer freiwilligen Arbeitslosenversicherung erleichtert werden. Dieser Schritt solle nach einer Übergangsphase evaluiert werden und gegebenenfalls in weitere Schritte in Form einer Versicherungspflicht oder einer Pflichtversicherung münden.
Der Rat empfiehlt zudem die Verpflichtung zur Altersvorsorge aller Selbstständigen sowie eine Reduzierung des Mindestbeitrags für eine freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Überdies sollten alle Soloselbstständigen in die gesetzliche Unfallversicherung einbezogen werden.
Entgrenzung von Homeoffice und Privatleben entgegenwirken
Nach Ansicht des Rates hätten in der Corona-Pandemie viele Betriebe schnell reagiert, um Arbeitnehmern die Arbeit im Homeoffice zu ermöglichen, sofern dies möglich sei. Allerdings habe die Covid-19-Pandemie auch Schwachstellen offengelegt. Dazu zähle, dass der Betrieb als sozialer Ort, wo der informelle Austausch der Beschäftigten die Innovationsfähigkeit befördert, während der Pandemie in Frage gestellt werde.
Der Gefahr eines "erodierenden Innovationspotenzials" müsse begegnet werden, die sich durch den erschwerten Austausch unter Kollegen, Interessenvertretungen und Sozialpartnern sowie Arbeitsgebern ergeben kann.
Gleichzeitig seien in der Covid-19-Pandemie die Risiken und Einschränkungen einer stärker digitalisierten und ortsflexiblen Arbeitsweise deutlicher zutage getreten. "Eine zunehmende Entgrenzung der Lebensbereiche im Homeoffice kann das Risiko von Überlastung steigern - dem gilt es vorzubeugen", mahnte der Rat.
Der Rat der Arbeitswelt ist im Januar 2020 von Arbeitsminister Heil als unabhängiges Gremium berufen worden, um Orientierung zum Wandel der Arbeitswelt zu geben. Auf Basis wissenschaftlicher Analysen und praktischer Erfahrung gibt der Rat Empfehlungen, wie Unternehmen, ihre Beschäftigten und die Politik die zukünftige Arbeitswelt gestalten können. Entsprechend dieser Ausrichtung ist der Rat in seiner Zusammensetzung interdisziplinär und praxisbezogen besetzt.
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May 18, 2021 06:30 ET (10:30 GMT)
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