DJ Bundeskabinett beschließt Pflegereform mit Beitragserhöhungen
Von Andrea Thomas
BERLIN (Dow Jones)--Das Bundeskabinett hat eine Reform der Pflegeversicherung beschlossen, mit der Pflegende besser bezahlt und Beträge für Kinderlose erhöht werden sollen. Die umstrittene Finanzierung der Reform sieht einen jährlichen Steuerzuschuss für die Pflegeversicherung von 1 Milliarde Euro ab 2022 und eine Erhöhung des Beitragssatzes zur Pflegeversicherung für Kinderlose um 0,1 Prozentpunkte auf 3,4 Prozent vor. Auch sollen die rund 1,2 Millionen Pflegekräfte künftig alle nach Tarif bezahlt werden.
Pflegeeinrichtungen sollen zudem um insgesamt 3 Milliarden Euro entlastet werden. Nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wird die Bezahlung der Pflegekräfte um bis zu 300 Euro im Monat steigen. Auch werden Krankenkassen in Zukunft Versorgungsverträge nur noch mit solchen Altenpflegeeinrichtungen abschließen, die nach Tarif oder Gehälter in ähnlicher Höhe zahlen. Für Pflegeheimbewohner soll es zudem eine Begrenzung bei ihrem Anteil an den Pflegekosten geben.
Der Gesetzentwurf soll noch im Juni vom Bundestag beschlossen werden.
Arbeitgeber wittern Wortbruch bei Sozialabgaben
Kritik an der Pflegereform kam von der deutschen Arbeitgeberseite. Sie warf der Bundesregierung Wortbruch vor. Wegen der höheren Ausgaben drohten höhere Sozialabgaben, kritisierte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wiederum lobte die Reform, da sie ordentliche Gehälter für die Pflegenden sichere.
"Nach dem Motto 'Nach mir die Sintflut' werden neue Kosten für die Pflegeversicherung produziert, die mit der jetzt beschlossenen Gegenfinanzierung schon im kommenden Jahr nicht mehr bezahlt werden können und daher unweigerlich zu Beitragssatzsteigerungen führen werden", monierte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter.
Damit würden die strukturellen Herausforderungen der Pflegeversicherung nicht gelöst und die nachfolgenden Generationen ebenso wie die Beitragszahler zum Spielball parteipolitischer Profilierung. Dies sei das Gegenteil von einer nachhaltigen Politik. "Alle, die die Sozialabgabengarantie anstreben, können diesem Entwurf nicht zustimmen. Die Deckelung der Sozialabgaben bei 40 Prozent bleibt unabdingbar", forderte Kampeter.
Verdi warnt vor Gefälligkeitstarifverträgen
Die Gewerkschaft Verdi hält den Entwurf für unzureichend, da die Regelungen zu höherer Bezahlung keinen adäquaten Ersatz für einen Tarifvertrag für die gesamte Pflegebranche darstellt.
"Es gibt im Gesetzentwurf keinen Mechanismus, der Gefälligkeitstarifverträge zwischen Pseudogewerkschaften und Pflegeanbietern, die weiterhin keine faire Löhne zahlen wollen, ausschließt", kritisierte Sylvia Bühler, Mitglied im Verdi-Bundesvorstand. "Auch mit solchen Tarifverträgen wäre dann die Voraussetzung für einen Versorgungsvertrag erfüllt."
Kritik an häuslicher Pflege und Finanzierung
Der Deutsche Caritasverband zeigte sich hingegen enttäuscht, dass die häusliche Pflege bei der Reform leer ausgeht. In der Reform seien "keine Verbesserungen für pflegende Angehörige" zu finden, kritisierte Caritas-Präsident Peter Neher. Nach der Bundestagswahl müsse die neue Regierung erneut eine Pflegereform angehen.
"Die grundsätzliche Frage der Finanzierung - wie viel ist uns Pflege als Gesellschaft wert und wer muss dafür aufkommen - ist auch noch nicht geklärt", erklärte der Caritas-Präsident. "Wir brauchen Antworten, und dabei darf ein Steuerzuschuss zur Pflegeversicherung kein Tabu sein."
Von den Krankenkassen wurde die Finanzierung der Pflegereform beanstandet. DAK-Chef Andreas Storm sagte dem Handelsblatt, die geplanten Maßnahmen seien eine "schwere Hypothek für die künftige Bundesregierung". Die Pflegereform sei bislang völlig unzureichend finanziert.
"Für das Jahr 2022 zeichnet sich schon jetzt ein Defizit von 2 Milliarden Euro ab, das in den Folgejahren weiter massiv ansteigen würde", so Storm. Die Folge wären erhebliche Beitragssteigerungen in der Pflegeversicherung. Außerdem greife die geplante Begrenzung der Eigenanteile für Pflegeheimbewohner viel zu spät. "Damit wird das wichtige Ziel verfehlt, den Anstieg der Sozialhilfeempfänger in den Pflegeheimen bereits im kommenden Jahr zu reduzieren", sagte Storm.
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June 02, 2021 05:14 ET (09:14 GMT)
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