DJ IfW: Selbsttragender Aufschwung in Deutschland
Von Andreas Kißler
KIEL/BERLIN (Dow Jones)--Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat in seiner jüngsten Konjunkturprognose die Erwartung angehoben und sieht nun für 2021 einen Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 3,9 anstatt 3,7 Prozent und für 2022 um 4,8 Prozent. "Die deutsche Wirtschaft erholt sich kräftig und dürfte im dritten Quartal wieder ihr Vorkrisenniveau erreichen", erklärte das Kieler Institut. "Der Aufschwung in Deutschland ist selbsttragend", hob IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths hervor. "Es besteht keinerlei Anlass zu weiteren Konjunkturprogrammen, zumal die in der Krise gewährten Hilfen noch nachwirken."
Produktionshemmnisse ständen einem noch stärkeren Aufschwung im Wege, was die Preise treibe. Mit dem Abklingen der Pandemie dürften vor allem der Handel und kontaktintensive Dienstleistungen wie das Hotel- und Gastronomiegewerbe von einem Erstarken der privaten Konsumausgaben profitieren, die 2021 um 2,4 Prozent und 2022 um 8,2 Prozent zulegen dürften. Die Erholung in der Industrie sei dagegen trotz sehr guter Auftragslage momentan durch Lieferengpässe gehemmt, die sich erst nach und nach auflösen dürften, wodurch erst gegen Ende des Jahres neuer Schub entstehe.
"Der deutsche Konjunkturkessel steht unter Dampf. Eine durch aufgestaute Kaufkraft und staatliche Konjunkturprogramme zusätzlich angefachte Nachfrage trifft auf ein auch durch Lieferengpässe limitiertes Angebot", konstatierte Kooths. Alles in allem ständen die Zeichen auf kräftige Expansion. Dies treibe aber dort die Preise, wo Produktionskapazitäten noch nicht mit der anziehenden Nachfrage Schritt halten könnten.
Unterjährig könnten die Teuerungsraten bis zu 4 Prozent erreichen. Im Gesamtjahr 2021 dürfte die Inflation 2,6 Prozent und 2022 dann 1,9 Prozent betragen. Bei den privaten Haushalten hätten sich in der Pandemie 200 Milliarden Euro Kaufkraft aufgestaut, von denen sich aber wohl nur ein kleiner Teil in nachholenden Käufen entladen werde. "Greifen die Konsumenten stärker auf ihr Finanzpolster zurück, wird das die Inflation noch weiter befeuern", warnte Kooths. Hierin liege kurzfristig die größte Gefahr für die Preisstabilität.
Nächste Eurokrise könnte drohen
"Wir werden uns an höhere Teuerungsraten gewöhnen müssen, selbst wenn die Sondereffekte der Pandemie vorbei sind", erklärte IfW-Präsident Gabriel Felbermayr. "Auch weil die Europäische Zentralbank nicht durch höhere Zinsen gegensteuern kann, ohne die Stabilität in hoch verschuldeten Ländern wie Italien zu gefährden." Laufe die Inflation tatsächlich aus dem Ruder und zwinge die EZB zum Handeln, "steht uns die nächste Eurokrise ins Haus".
Die kräftige Erholung der deutschen Wirtschaft helfe auch dem Arbeitsmarkt auf die Sprünge. Die Arbeitslosenquote dürfte von 5,8 Prozent 2021 auf 5,3 Prozent 2022 sinken und damit fast wieder ihr Vorkrisenniveau erreichen. Die öffentlichen Haushalte dürften am Jahresende ein Minus von über 175 Milliarden Euro verbuchen, fast 5 Prozent in Relation zum BIP. Deutschlands Schuldenstand steige damit auf 70 Prozent. Im nächsten Jahr dürfte das Defizit dann auf gut 52 Milliarden Euro und damit 1,4 Prozent des BIP zurückgehen und der Schuldenstand auf 67 Prozent sinken.
Die Exporte dürften 2021 um 11,2 Prozent zulegen, 2022 dann um 5,8 Prozent. Deutschlands Leistungsbilanzsaldo geht nach den Berechnungen des IfW bis 2022 auf 6,4 Prozent zurück, auch weil sich die Importe deutlich verteuern. Die Unternehmensinvestitionen erholen sich demnach zügig und steigen um 4,3 Prozent 2021 und 5,2 Prozent 2022. Besonders die Bauwirtschaft sei gegenwärtig aber durch Materialengpässe limitiert, die sich vor allem in höheren Preisen niederschlügen.
Kooths betonte, in der Pandemie habe der Infektionsschutz wirtschaftlich auf die Bremse gedrückt, während der Staat fiskalisch Vollgas gegeben habe. Bereits das Lockern der Bremse sorge "nun für einen Kick-Start der Binnenwirtschaft", und die Industrie kämpfe nach dem kräftigen Aufholspurt seit Jahresbeginn mit Lieferengpässen. "Um eine Überhitzung zu verhindern, sollte die Geld- und Finanzpolitik spätestens im kommenden Jahr den Fuß vom Gas nehmen", mahnte der IfW-Konjunkturchef.
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June 17, 2021 05:05 ET (09:05 GMT)
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