DJ Wirtschaftskraft in Ostdeutschland noch immer deutlich schwächer
Von Andrea Thomas
BERLIN (Dow Jones)--In Ostdeutschland nimmt die Wirtschaftskraft weiter zu, aber dennoch liegt sie auch 31 Jahre nach der Wiedervereinigung noch deutlich hinter der in den alten Bundesländern. Der Jahresbericht zur Deutschen Einheit, der dem Bundeskabinett in seiner Sitzung vorgelegt wurde, ergab, dass die Wirtschaftskraft der neuen Bundesländer gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) je erwerbstätiger Person im vergangenen Jahr bei 77,9 Prozent des westdeutschen Niveaus lag. Rechnet man Berlin mit ein, lag das Niveau bei 82,8 Prozent.
Im Vergleich zum Jahr 2010 hat sich der Abstand deutlich verringert. Damals lag die ostdeutsche Wirtschaftskraft ohne Berlin noch bei einem Wert von 69,6 Prozent (und 74,2 Prozent mit Berlin).
Laut Bundesregierung sei der Trend eindeutig. "Der Abstand zwischen Ost und West baut sich weiter schrittweise ab", heißt es in dem Bericht. "Die Zahlenvergleiche machen aber zugleich deutlich, dass es auch gut 30 Jahre nach dem Fall der Mauer noch einen klar erkennbaren Abstand in der Wirtschaftskraft zwischen Ost und West gibt." Allerdings hätten Berlin und das Berliner Umland in den vergangenen fünf Jahren deutlich aufgeholt. Berlin hat im Jahr 2020 mit 100,1 Prozent den gesamtdeutschen Durchschnitt erstmals erreicht.
"Man kann trotz Corona sagen, dass der Aufholprozess zwischen den neuen und den alten Ländern sowohl in der Legislaturperiode als auch in diesem Jahr weiter vorangeschritten ist, aber es immer noch weiter Aufholbedarfe gibt - die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse insbesondere in den ländlichen, strukturschwächeren Regionen der neuen Bundesländer ist noch nicht erreicht", sagte der Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Länder, Marco Wanderwitz (CDU) dem Nachrichtensender Welt.
Klar sei, dass die industriellen Kerne in den alten Bundesländern von anderer Qualität seien als im Osten. Deswegen setzte die Bundesregierung nun verstärkt auf neue Technologien, auf Zukunftstechnologien, um dort noch einmal einen neuen Anlauf zu nehmen. Außerdem betonte Wanderwitz in einer Stellungnahme, dass der Maßstab für die innere Einheit sich nunmehr verändert habe. Es gehe weg von einer Perspektive des Auf- und Nachholens, hin zur gemeinsamen Gestaltung der Zukunft. Deshalb fördere die Bundesregierung seit 2020 nicht mehr nach Himmelsrichtung, sondern nach tatsächlichem Bedarf.
Mehr Skepsis gegenüber Politik im Osten
Generell kommt der Bericht zum Stand der Deutschen Einheit zum Schluss, dass sich nicht nur die Lebensverhältnisse in den neuen und den alten Ländern im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte stark angenähert, sondern auch die Lebensführung.
Ganz anders sieht es jedoch bei Einstellungen zur Politik aus. Hier gebe es zwar durchweg graduelle, nicht aber substanzielle Unterschiede von politischen Einstellungen. "Die politischen Einstellungen in den neuen und den alten Ländern gehören zu den wenigen verbleibenden Feldern, auf denen man weiterhin charakteristische Unterschiede findet", heißt es in dem Bericht. "Kennzeichnend dafür ist eine in den neuen Ländern - im Vergleich zu den alten Ländern - durchgängig skeptischere, distanziertere und auch kritischer ausgeprägte Grundeinstellung gegenüber Politik."
Auch hätten sich in einer Umfrage im Jahr 2020 in den alten Ländern 25 Prozent und in den neuen Ländern 33 Prozent der Befragten als "Mensch zweiter Klasse" empfunden. Allerdings sind die höheren Werte im Osten aus Sicht der Bundesregierung keineswegs so erheblich, dass sie mehr als 30 Jahre nach der Deutschen Einheit das Zusammenwachsen in Deutschland grundsätzlich infrage stellen, heißt es in dem Bericht.
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July 07, 2021 05:37 ET (09:37 GMT)
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