DJ Friedrich Merz warnt vor Zentralisierungstendenzen in Europa
FRANKFURT (Dow Jones)--Friedrich Merz wirft der Bundesregierung sowie seiner Partei, der CDU, Fehler in der Europapolitik vor. Im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung rügt er zugleich "Zentralisierungstendenzen" in Brüssel und fordert eine neue europapolitische Debatte in der Union.
Merz' Kritik an der deutschen Europapolitik zielt erstens auf die billionenschweren Corona-Hilfspakete der EU, die unter Beteiligung von Bundeskanzlerin Angela Merkel beschlossen wurden. Manche glauben, das führe in eine "Schuldenunion", und Merz schließt sich dieser Deutung an. "Mit diesem Fonds wird die Perspektive eröffnet, dass die EU auch in normalen Zeiten eigene Schulden aufnimmt", sagte er. "Ich sehe das als reale Gefahr."
Sein zweiter Punkt betrifft den zentralen Einkauf von Impfstoff durch Brüssel. Merz sagte dazu, es hätte gereicht, nur "ein bestimmtes Kontingent" gemeinsam zu beschaffen. "Rückblickend war es ein Fehler, den Kauf von Corona-Impfstoffen in vollem Umfang der EU-Kommission zu überlassen."
Merz ist der Ansicht, es gebe "eine Dynamik in Brüssel, immer mehr Macht zur EU zu ziehen", denn jede Zentralinstanz habe "das inhärente Bedürfnis, ihre Kompetenzen auszuweiten". Er selbst habe den Begriff "Vereinigte Staaten von Europa" aber immer für falsch gehalten. "Nicht weil ich gegen Europa bin, sondern weil wir nicht ein Amerika auf der anderen Seite des Atlantiks sind." Auch die meisten Mitgliedstaaten wollten "kein zentralisiertes Europa". Das Bundesverfassungsgericht habe daher zu Recht widersprochen, als der Europäische Gerichtshof eine Klage aus Deutschland gegen die Kreditpolitik der Europäischen Zen-tralbank abwies. "Der Europäische Gerichtshof hat hier seine Kompetenz überschritten, und das musste benannt werden", sagte Merz.
In diesem Zusammenhang kritisierte er auch das Vertragsverletzungsverfahren, mit dem die EU-Kommission nach dem Karlsruher Widerspruch Deutschland zur Ordnung rufen will. Der Zeitung gegenüber vermutete er, die Vorsitzende Ursula von der Leyen sei "offensichtlich von den Hardlinern in der Kommission dazu gedrängt worden". Hier drohe "der nächste große Konflikt".
Merz kritisiert aber nicht nur, dass zu viel in Brüssel gebündelt werde, sondern auch mangelnden Mut zu mehr Einigkeit, wo es nottue. "Wir müssen über die Möglichkeit reden, die Außenpolitik der EU durch Mehrheitsentscheidungen zu stärken", verlangte er. Das zeige sich an der Debatte über die russische Gaspipeline Nord Stream2, die durch die Ostsee nach Deutschland führen soll und von Merkel unterstützt wird. "Ich habe nie geglaubt, dass das ein rein wirtschaftliches Projekt ist", so Merz. "In der Energiewirtschaft ist alles auch politisch." Jetzt spalte diese Frage die EU, "und deshalb war es ein Fehler, die Pipeline ohne europäischen Konsens zu bauen".
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July 17, 2021 09:04 ET (13:04 GMT)
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