DJ Ifo-Studie: Deutsche Unternehmen hängen an ihren globalen Lieferketten
MÜNCHEN/BERLIN (Dow Jones)--Nur wenige Unternehmen in Deutschland setzen laut einer Studie des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung trotz der Corona-Pandemie auf neue nationale Lieferketten und wollen die globale Beschaffung ersetzen. Von 5.000 befragten Unternehmen will laut der Studie für die Konrad-Adenauer-Stiftung nur jedes zehnte Unternehmen in Zukunft vermehrt auf heimische Lieferketten setzen, erklärte das Institut. "Viele Firmen planen stattdessen, ihre Lagerhaltung auszubauen und die Anzahl ihrer Zulieferer zu erhöhen", sagte die Leiterin des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft, Lisandra Flach.
Dieser Trend ziehe sich durch alle Wirtschaftssektoren. Großunternehmen setzten auf eine größere Anzahl an Zulieferern, während kleine und mittelständische Unternehmen mehr Lagerhaltung planten. In der Industrie haben demnach 44 Prozent der Unternehmen vor, ihre Beschaffung zu ändern. "Industrieunternehmen geben häufiger an, ihre Beschaffungsstrategie zu verändern, wenn sie von Materialmangel betroffen sind", sagte Flach. Beim Großhandel liegt der Wert bei 35 Prozent, im Einzelhandel sind es nur 27 Prozent. Im Dienstleistungssektor planen lediglich 10 Prozent der Unternehmen eine andere Beschaffungsstrategie.
Die Studie ergab den Angaben zufolge auch, dass eine Rückverlagerung der Produktion nach Deutschland oder ins nahe gelegene Ausland zu hohen Wohlstandsverlusten führen würde. "Bei einer Rückverlagerung könnte die reale Wirtschaftsleistung Deutschlands um fast 10 Prozent zurückgehen", erklärte Flach. Gleiches gelte für die Rückverlagerung der Produktion zu europäischen Nachbarn. In diesem Fall würde die deutsche Wirtschaftsleistung um 4,2 Prozent sinken.
Damit werde deutlich, dass "eine politisch gesteuerte, umfassende Umorganisation der Lieferketten deutscher Unternehmen nicht nur unnötig wäre", betonte Jan Cernicky, Experte für internationalen Handel und Wirtschaft bei der Konrad-Adenauer-Stiftung. "Ein solches Reshoring wäre darüber hinaus für Wirtschaft und Gesellschaft immens kostenintensiv", stellte er fest.
Besonders kleinen und mittleren Unternehmen fällt laut der Studie eine stärkere Diversifizierung ihrer Lieferbeziehungen oft nicht leicht. Für sie sei es häufig mit verhältnismäßig großem Aufwand verbunden, Geschäftsbeziehungen mit mehreren ausländischen Zulieferern aufzubauen. "Eine mittelstandsfreundlichere Ausgestaltung von Handelsabkommen kann einen wichtigen Beitrag zu robusteren Lieferketten leisten", sagte Andreas Baur, Co-Autor der Studie. Eine Vereinfachung und Harmonisierung von Ursprungsregeln würde beispielsweise kleinen und mittleren Unternehmen die Nutzung von Freihandelsabkommen deutlich erleichtern und auf diese Weise neue Möglichkeiten zur Diversifizierung eröffnen.
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August 10, 2021 02:20 ET (06:20 GMT)
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