DJ DIW: EZB-Geldpolitik hat deutliche Verteilungseffekte
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) hat laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) deutliche Verteilungswirkungen für Arbeits- und Unternehmenseinkommen und wirkt in den Ländern des Euroraums unterschiedlich. Autor Jan Philipp Fritsche zeigt in der Studie, dass Zinsänderungen ihre Wirkung besonders über Unternehmen mit hoher Arbeitsintensität und Fremdfinanzierung entfalten. Und die sind ungleichmäßig über den Währungsraum verteilt, oft entlang von Staatsgrenzen.
Laut der Studie ("Arbeitsintensive Unternehmen sind ein Katalysator für Geldpolitik und ihre Verteilungseffekte") zeigen Bilanzdaten von mehr als zwei Millionen Unternehmen im Euroraum, dass Zinserhöhungen den Anteil der Löhne und Gehälter an der Wertschöpfung kurzfristig senken. Arbeitsintensive Unternehmen reagieren auf Zinserhöhungen verhältnismäßig stark durch Anpassungen der gezahlten Löhne und Gehälter. In Unternehmen mit viel Fremdkapital verändert sich die Wertschöpfung relativ stark und damit die Lohnquote.
Arbeitsintensive Unternehmen besonders von Zinsänderungen betroffen
Die EZB strebt eine mittelfristige Inflationsrate von 2 Prozent an und verändert dafür ihre Leitzinsen. Mit solchen Zinsänderungen beginnt eine lange Wirkungskette, die über verschiedene Kanäle Preisänderungen nach sich ziehen soll. Arbeitsintensive Unternehmen sind laut der Studie besonders durch Zinserhöhungen betroffen und zwar sogar dann, wenn die Fremdkapitalquote relativ gering ist.
Die Lohnquote dieser Unternehmen reagiert deutlich, vor allem durch einen Rückgang der gezahlten Löhne und Gehälter. Ein Jahr nach der Zinserhöhung erhalten die Arbeitnehmer im Verhältnis zur Wertschöpfung einen Prozentpunkt weniger als die Anteilseigner. Zinssenkungen wirken umgekehrt: Die Arbeitnehmer gewinnen relativ Einkommen, die Arbeitgeber verlieren. Verstärkt werden diese Effekte durch eine hohe Fremdkapitalfinanzierung von Unternehmen.
Wirksamkeit der Geldpolitik hängt von Lohnquote ab
Das zeigt, dass auch die Wirksamkeit der Geldpolitik von der Lohnquote abhängt: Löhne und Gehälter bestimmen die Kaufkraft der meisten Arbeitnehmer, da sie ihre wesentlichen Einkommensquellen sind. Sinkt die Lohnquote, reduziert sich die Kaufkraft der Mehrheit der Bevölkerung im Verhältnis zur Wertschöpfung, die Nachfrage sinkt und die Inflationsrate verringert sich.
Wie wirkt die EZB-Geldpolitik auf die einzelnen Länder? "Ein Paradebeispiel für eine Volkswirtschaft mit einer hohen Arbeitsintensität und Lohnquote ist Frankreich, niedrig ist die Lohnquote zum Beispiel in Portugal", sagt Studienautor Fritsche. Deutschland alles Ganzes sei nicht klar zuzuordnen.
Hohe Lohnquoten in Frankreich und Westdeutschland
Eine in der Studie abgebildete Karte zeigt relativ hohe Lohnquoten nicht nur durchgängig in Frankreich, sondern auch in Westdeutschland und eher niedrige in Ostdeutschland - der innerdeutsche Unterschied beträgt bis zu 30 Prozentpunkte. Allerdings hat das offenbar nichts mit dem Niveau des Outputs zu tun: Eine niedrige Arbeitsintensität (und wohl hohe Kapitalintensität) weisen auch das wohlhabende Norditalien und die Benelux-Länder auf.
Im schlimmsten Fall kann diese Heterogenität laut Fritsche zur Folge haben, dass auch die Konjunkturzyklen in den Ländern auseinanderlaufen, womit eine stabilisierende Geld- und Fiskalpolitik im Euroraum erschwert wird. Als mögliche Heilmittel betrachtet der Ökonom eine Konvergenz der Arbeits- und Kapitalmärkte.
"Stehen Kapitalmarkt und Kredite weniger gut zur Verfügung, entwickeln sich wahrscheinlich eher Unternehmen, die nicht durch hohe Fremdkapitalquoten charakterisiert sind und schwächer auf die Geldpolitik reagieren", so die Studie. Auf geldpolitischer Seite hält der Autor EZB-Kreditprogramme denkbar, die sich gezielt an Haushalte und Unternehmen richten.
Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com
DJG/hab/kla
(END) Dow Jones Newswires
September 08, 2021 06:31 ET (10:31 GMT)
Copyright (c) 2021 Dow Jones & Company, Inc.