DJ IMK: Starker Aufschwung verschiebt sich
Von Andreas Kißler
DÜSSELDORF/BERLIN (Dow Jones)--Das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird nach einer neuen Prognose des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung dieses Jahr um 2,6 Prozent und nächstes um 5,1 Prozent zulegen. Gegenüber der letzten Prognose vom Juni senkten die Düsseldorfer Konjunkturforscherinnen und -forscher ihre Wachstumserwartung für 2021 damit deutlich um 1,9 Prozentpunkte. Für 2022 heben sie die Prognose um 0,2 Prozentpunkte an. "Wir erleben einen Aufschwung mit angezogener Handbremse", erklärte der wissenschaftliche Direktor des IMK, Sebastian Dullien.
"Die Engpässe bei Rohstoffen und Vorprodukten wie Halbleitern bremsen das Wachstum der deutschen Wirtschaft bis weit ins nächste Jahr", erklärte das gewerkschaftsnahe Institut in Düsseldorf. Vor allem die Industrieproduktion könne dadurch derzeit nicht mit den boomenden Auftragseingängen mithalten. "Die Knappheiten sind ein wesentlicher Grund dafür, dass die wirtschaftliche Erholung 2021 deutlich weniger stark ausfällt als noch vor einigen Monaten erwartet", hoben die Ökonomen hervor.
Treibende Kräfte des eher moderaten Wachstums in diesem Jahr seien Exporte, zum Teil aus Lagerbeständen, und Investitionen, während der private Konsum leicht bremse. 2022 werde der Konsum zum dominierenden Wachstumsfaktor, auch von den Investitionen komme ein kräftiger Beitrag. Die privaten Konsumausgaben sollen dieses Jahr um 0,4 Prozent zurückgehen und nächstes um 8,2 Prozent steigen. Die Ausrüstungsinvestitionen legen nach der Prognose 2021 um 6,6 Prozent und 2022 um 6,7 Prozent zu. Die Exporte werden nach der Prognose dieses Jahr um 9,5 Prozent zulegen und nächstes um 6,7 Prozent, die Importe 2021 um 9,1 Prozent und 2022 um 9,8 Prozent.
Kein Handlungsbedarf für die EZB
Die Arbeitslosenquote sinkt nach der Prognose 2021 leicht auf 5,7 Prozent und geht 2022 dann deutlicher auf 5,1 Prozent zurück. Die Zahl der Arbeitslosen soll auf 2,631 Millionen in diesem und 2,356 Millionen im kommenden Jahr sinken. Die Inflation steige zwar 2021 erstmals seit längerem über das Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB) auf 2,9 Prozent im Jahresmittel. Da dafür neben dem Wirtschaftsaufschwung aber auch Sonderfaktoren wie die Rückkehr zum alten Mehrwertsteuersatz eine Rolle spielten, werde die Teuerungsrate 2022 wieder auf 1,9 Prozent zurückgehen. Dullien sah "derzeit keine Verfestigungstendenzen der Inflation und keinen Handlungsbedarf für die EZB".
Unterstützt durch die umfangreiche Stabilisierungspolitik vieler Regierungen sei die Weltwirtschaft dynamisch aus dem Corona-Tal gestartet, wie auch die Rekordstände bei den Bestellungen für deutsche Produkte deutlich machten. Da sich aber die Nachfrage hin zu Elektronikprodukten verschoben habe und sich in vielen Teilen der Welt die Nachfrage schneller erhole als von den Unternehmen erwartet, sorgten Engstellen für besonders große Probleme. Das gelte für wichtige Rohstoffe und Vorprodukte, deren Gewinnung und Produktion nach der Pandemie auch erst mit Verzögerung wieder hochgefahren werde.
"Diese Engstellen sind hartnäckiger, als wir erwartet haben", erklärte der Ökonom. "Deshalb hat das Wachstum in diesem Jahr deutlich weniger Schwung als im Sommer prognostiziert. Ein Teil davon verschiebt sich aber nach 2022, so dass im nächsten Jahr ein Rekordwachstum der deutschen Wirtschaft in Sicht ist." 2021 werde das Wachstum auch von der vierten Corona-Welle gebremst, sagte er bei einer Pressekonferenz.
Budgetdefizit sinkt 2022 deutlich
Da der Staat zur Krisenbekämpfung weiterhin sehr viel Geld einsetze, Anfang 2021 der Solidaritätszuschlag für die meisten Steuerzahler abgeschafft und einige andere Steuern sowie die EEG-Umlage gesenkt worden seien und sich die Einnahmen generell erst langsam erholten, ergebe sich 2021 ein Budgetdefizit von 4,9 Prozent des BIP. Im kommenden Jahr wird sich die erwartete konjunkturelle Belebung dann laut dem Institut stärker positiv auf die öffentlichen Haushalte auswirken, zudem wirke die Fiskalpolitik weniger expansiv, und das gesamtstaatliche Defizit gehe 2022 deutlich auf 1,9 Prozent des BIP zurück.
Das IMK rechnet in seiner Prognose damit, dass auch "die neue deutsche Regierung wirtschaftspolitisch weiter zur Stabilisierung beitragen und zugleich Investitionen in die Transformation vorantreiben wird". Dies sei wichtiger als eine schnelle Regierungsbildung. Auch bei einer länger anhaltenden Regierungsbildung sei "kein messbarer Wachstumsdämpfer" zu erwarten. Mit zunehmender wirtschaftlicher Erholung werde der fiskalische Impuls deutlich zurückgehen.
Das sei grundsätzlich angemessen, allerdings sollte die neue Regierung den enormen Investitionsbedarf in Infrastruktur, Digitalisierung und Dekarbonisierung konsequent und strategisch angehen und zu kräftigen kurzfristigen Investitionen bereit sein für den Fall, dass sich konjunkturelle Risiken realisieren. Dazu zähle auch die Möglichkeit, dass die US-Notenbank Fed zügiger als erwartet die Leitzinsen erhöht. Bei einer weltwirtschaftlichen Eintrübung sollte die Bundesregierung "verstärkt stabilisierend wirken und zwar insbesondere, indem sie konjunkturwirksame Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen vorzieht", forderte Dullien.
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September 29, 2021 04:06 ET (08:06 GMT)
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