DJ EZB: Kurzfristige Risiken für Finanzstabilität nehmen ab
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Die pandemiebedingten Risiken für die Finanzstabilität des Euroraums haben nach Aussage der Europäischen Zentralbank (EZB) wegen der Erholung der Wirtschaft abgenommen. In ihrem aktuellen Finanzstabilitätsbericht warnt die EZB jedoch zugleich vor zunehmenden Schwachstellen im Finanzsystem wegen überzogener Bewertungen an einigen Märkten, der hohen öffentlichen und privaten Verschuldung sowie der erhöhten Risikobereitschaft von Nicht-Banken. Sorgen bereitet der EZB besonders der Immobiliensektor.
Kurzfristig betrachtet die EZB die Störung von Lieferketten und die hohen Energiepreise als Stabilitätsrisiken für Unternehmen, die zudem im Schnitt höher verschuldet seien als vor der Krise. Genannt werden zudem die niedrigen Impfquoten in Schwellenländern und die Probleme "eines großen chinesischen Immobilienentwicklers". Mehr Sorgen macht sich die EZB über die längerfristigen Risiken, deren Indikatoren in den vergangenen Monaten gestiegen seien.
Wohnimmobilienmärkte
Laut EZB sind die Häuserpreise im zweiten Quartal mit einer Jahresrate von 7 Prozent gestiegen. Das war die höchste Rate seit 2005. "Zunehmenden Anzeichen für eine Überbewertung im Durchschnitt des Euroraums machen Wohnimmobilienmärkte anfällig für eine Korrektur, vor allem in Ländern mit stärker erhöhten Bewertungen", heißt es in dem Bericht. In einigen Ländern gingen steigende Hauspreise mit einer erhöhten Vergabe von Hypothenkrediten und sinkenden Kreditstandards einher.
In einem Diagramm, das die Preisentwicklung und die Kreditvergabe für den Hauskauf darstellt, fallen Deutschland und Österreich mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten bei beiden Größen auf.
Gewerbeimmobilienmärkte
Die Gewerbeimmobilienmärkte profitieren von der Konjunkturerholung, doch Investoren rechnen laut EZB überwiegend mit einer weiteren Abwärtsbewegung dieses Marktsegments. Besonders betroffen sind demnach Büro- und Einzelhandelsimmobilien. Solche Assets konzentrieren sich laut EZB bei Nicht-Banken.
Finanzmärkte
Die realen Renditen sind auf Tiefstände gefallen und sinken weiter, was in einigen Teilen des Finanzmarkts zu Übertreibungen führt. Die Aktienmärkte im Euroraum und weltweit sind seit dem vorigen Finanzstabilitätsbericht gestiegen, was sowohl an unerwartet hohen Unternehmensgewinnen als auch an den günstigen Finanzierungsbedingungen lag. Das Emissionsvolumen bei Hochzinsanleihen erreichen 2021 neue Rekordstände. Die EZB sieht die Gefahr, dass es bei Hochzinsanleihen und an bestimmten Aktienmärkten zu Korrekturen kommt.
Nicht-Banken
Nicht-Banken sind zu einer wichtigen Finanzierungsquelle für Unternehmen geworden. Investmentfonds haben rund 70 Prozent der mit BBB gerateten Anleihen und Hochzinsanleihen der im Euroraum ansässigen Unternehmen gekauft. Auch Versicherer und Pensionsfonds haben den Anteil von Bonds minderer Qualität an ihren Portfolios erhöht. Bei Investmentfonds gibt es laut EZB neben den Kreditrisiken noch Liquiditäts- und Durationsrisiken.
Cyber-Risiken
Weder die Zahl noch die Qualität der Cyber-Vorfälle hat sich im ersten Halbjahr 2021 verändert. Am häufigsten registriert wurden "Denial-of-service-attacks". Relativ häufig kam es auch zu Angriffen mit Ransomware, und zwar meist über externe Service-Anbieter der Banken. Zu größeren Schäden kam es dabei nicht.
Greenwashing
Die "grünen" Finanzmärkte wachsen zwar rasch, doch sieht die EZB trotzdem die Gefahr des Greenwashing. Dem müsse mit besserer Information und verbesserte Standards begegnet werden.
Geldpolitik
Die EZB räumt in dem Bericht ein, dass ihre eigene Geldpolitik die Finanzstabilität beeinträchtigen kann. Eine Politik des "Leaning against the wind" lehnt sie ab. Als erste Verteidigungslinie betrachtet sie die makroprudenzielle Politik, die in der Hand der nationalen Behörden liegt. Allerdings soll der EZB-Rat von Zeit zu Zeit und flexibel die Wechselwirkungen von Geldpolitik und Finanzstabilität sowie die Wirksamkeit makroprudenzieller Maßnahmen tiefer analysieren.
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November 17, 2021 04:00 ET (09:00 GMT)
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