BERLIN (dpa-AFX) - Rund zwei Jahre nach der Erschießung eines Georgiers tschetschenischer Abstammung mitten in Berlin will das Gericht an diesem Mittwoch (11.00 Uhr) sein Urteil sprechen. Das gab der Vorsitzende Richter Olaf Arnoldi am Dienstag nach dem Plädoyer der Verteidigung bekannt. Seit Oktober 2020 läuft der sogenannte Tiergartenmord-Prozess vor einem Staatsschutzsenat des Berliner Kammergerichts unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. Das Urteil könnte die deutsch-russischen Beziehungen erschüttern.
Angeklagt wegen Mordes ist ein 56 Jahre alter Russe. Er soll am 23. August 2019 den 40 Jahre alten Georgier in der Parkanlage Kleiner Tiergarten erschossen haben. Der Getötete, der seit Ende 2016 als Asylbewerber in Deutschland lebte, war von russischen Behörden als Terrorist eingestuft worden.
Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass der 40-Jährige im Auftrag staatlicher Stellen Russlands ermordet wurde. Der Getötete sei insbesondere deshalb als Staatsfeind betrachtet worden, weil er im Tschetschenien-Krieg gegen Russland gekämpft hatte. Zudem beantragte sie, die besondere Schwere der Schuld festzustellen, was eine Haftentlassung nach 15 Jahren nahezu ausschließt. Der Angeklagte habe sich als Offizier des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB bewusst in den Dienst seiner Auftraggeber gestellt. Für den Auftragsmord habe er eine Scheinidentität erhalten.
Die Verteidigung sieht dafür keine stichhaltigen Beweise. "Das Gericht wird darüber befinden müssen, ob die Beweislage ausreicht", so Rechtsanwalt Robert Unger am Dienstag in seinem Plädoyer. Die Version der Bundesanwaltschaft stütze sich auf teils "höchst fragwürdige Beweismittel". Dies gelte für die Identität des Angeklagten, aber auch für die von der Bundesanwaltschaft angenommene Verbindung zum russischen Staat.
"Die Bundesanwaltschaft sagt selbst, dass sie nicht genau sagen kann, wer den Auftrag gegeben hat", so Unger. Auch andere Menschen oder Organisationen hätten ein Motiv haben können, sich an dem Getöteten zu rächen, meinte der Anwalt. Der Mann habe 2016 Bedrohungsnachrichten über eine georgische Nummer erhalten. 2015 war in Tiflis auf den Mann geschossen worden, er überlebte jedoch verletzt.
Der Beschuldigte selbst hatte zu Beginn des Prozesses über seine Anwälte erklären lassen, er heiße Vadim S., sei 50 Jahre alt und Bauingenieur. Verbindungen zum russischen Staat und dem Geheimdienst FSB bestritt er. Sein Mandant habe stets beteuert, dass er nichts mit der Tat zu tun habe und als Tourist in Berlin gewesen sei, betonte sein Anwalt im Plädoyer.
Keiner der Zeugen habe gesehen, was sich vor der Tat im Tiergarten abgespielt habe, so Unger. Alle Zeugen seien erst durch die Schüsse aufmerksam geworden. Es sei nicht klar, ob der Getötete zum Tatzeitpunkt "arglos" gewesen sei. Insofern sei das Mordmerkmal Heimtücke nicht belegt. Der Verteidiger plädierte für den Fall, dass das Gericht von der Schuld des Angeklagten ausgeht, auf Totschlag ohne einen konkreten Strafantrag./mvk/DP/eas