DJ Rabobank: Zentralbanken optieren für weniger tiefe Rezession
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Die Europäische Zentralbank (EZB) ist mit ihrer überraschenden "hawkishen" Wende am Donnerstag nach Meinung der Rabobank-Analysten Mitglied im Club jener Zentralbanken geworden, die das Risiko einer zu frühen geldpolitischen Straffung mit anschließend leichter Rezession einzugehen bereit sind. Ein längeres Abwarten angesichts hoher Inflationsraten hätte ihrer Meinung nach das Risiko beinhaltet, die Geldpolitik zu einem späteren Zeitpunkt stärker straffen zu müssen, wodurch auch die anschließende Lockerung stärker hätte ausfallen müssen.
Die Rabobank-Analysten skizzieren zwei Optionen für den Umgang mit erhöhten kurzfristigen Inflationserwartungen:
1. Inflationserwartungen in die Knie zwingen
Die Zentralbank strafft die Geldpolitik, was die Nachfrage dämpft und damit die kurzfristigen Inflationserwartungen senkt. Die Gefahr bei dieser Strategie besteht laut Rabobank darin, dass die Zentralbank ihre Geldpolitik in Reaktion auf einen negativen Angebotsschock und trotz eines massiven Rückgangs der Reallöhne strafft. Damit beschwört sie die Gefahr einer Rezession herauf, was vielleicht auch nötig ist, um die Inflationserwartungen zu senken. Laut Rabobank ist das ein Drahtseilakt, vor allem wenn man bedenkt, wie stark die Nachfrage gedrosselt werden muss, um die Stärke des angebotsseitigen Inflationsdrucks auszugleichen. "Sie hofft wohl, dass sie die angedrohte Straffungen nicht voll umsetzen muss und eine sanfte Landung zu erreichen."
2. Abwarten
Die Zentralbanken könnten den angebotsbedingten Anstieg der Inflation einfach aussitzen und hoffen, dass es nicht zu einer Lohnpreisspirale kommt. Dabei akzeptieren sie, dass ein gewisser Anstieg der Löhne erforderlich ist, um den Reallohnverlust durch die hohe Inflation auszugleichen, wobei längerfristig gesehen die Lohnverhandlungsmacht der Arbeitnehmer begrenzt ist. "Die Gefahr bei dieser Strategie besteht darin, dass eine reale Lohnpreisspirale in Gang kommen könnte und die Zentralbank erst dann Gewissheit darüber hätte, ob es sich um eine einmalige oder eine anhaltende Entwicklung handelt, wenn es zu spät ist", merken die Analysten der Rabobank an.
Um einen anhaltenden Lohnanstieg zu stoppen, wäre ihrer Meinung nach eine wesentlich stärkere Straffung der Geldpolitik erforderlich, was wahrscheinlich zu einer weitaus tieferen Rezession führen würde als bei Option 1 - einer Rezession, für die die Zentralbanken angesichts der Nähe der Nullzinsgrenze schlecht gerüstet sind.
"Angesichts des Risikos einer flachen oder tiefen Rezession und in dem Wissen, dass ihre Instrumente zur Bekämpfung einer zu hohen Inflation sehr viel wirksamer sind als die zur Bekämpfung einer zu niedrigen Inflation, entschieden sich die Zentralbanken für die am wenigsten schlechte Option - nämlich diejenige, die zu einer Risikomanagement-Strategie passt", schreiben die Analysten in ihrem Kommentar. Im Grunde sei es für Zentralbanken viel einfacher, im Falle einer flachen Konjunkturabschwächung den Kurs zu ändern, als den Inflationsgeist wieder in die Flasche pressen zu müssen.
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February 04, 2022 05:06 ET (10:06 GMT)
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