DJ Lane: EZB sollte auf Angebotsengpässe nicht überreagieren
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), Philip Lane, hat vor einer Überreaktion der EZB auf die weitgehend angebotsseitig ausgelöste hohe Inflation gewarnt. In einem auf der EZB-Website veröffentlichten Beitrag wendet er sich auch gegen die Annahme, dass eine auf diese Weise und durch relative Preisänderungen ausgelöste hohe Inflation zu anhaltenden Zweitrundeneffekten führen könnte.
Folgende Faktoren führt Lane auf:
1. Energie
Ein großer Teil des Inflationsanstiegs rührt von Öl- und Gaspreisen her. Deren starker Anstieg beruht auf leeren Gasspeichern, Förderschwierigkeiten in einigen Regionen und der Politik der Opec+. Lane räumt ein, dass der Rückgang der Gaspreise in diesem Jahr später einsetzen und weniger deutlich ausfallen könnte als in den Dezember-Projektionen unterstellt. Diese Annahme beruhe allerdings auf Future-Preisen, die nicht die "wahren" künftigen Preise darstellten, sondern auch die gegenwärtig hohe Unsicherheit reflektieren.
2. Güterpreise ohne Energie
Sie sind stark gestiegen, was auch daran liegt, dass Konsumenten pandemiebedingt von Dienstleistungen auf Güter auswichen. Diese Entwicklung dürfte sich wieder umkehren. Die hohe Nachfrage führt in Kombination mit pandemiebedingten Lockdowns und Logistikproblemen (Transport- und Containerkosten) zu sich selbst verstärkenden Problemen in der Lieferkette. Im Euroraum hat dieses Phänomen zu einem Anstieg der Güterpreisinflation von 20 bis 50 Basispunkten beigetragen. Für das laufende Jahr rechnet Lane mit einer leichten Entspannung. Die von der EZB befragten Unternehmen rechnen allerdings damit, dass die Engpässe noch mindestens sechs Monate anhalten werden.
3. Arbeitsmarkt
Die Arbeitslosenquote ist auf 7,0 Prozent gefallen, deutlicher als im Dezember erwartet. Jedoch ist das Verhältnis von offenen Stellen zu Arbeitslosen noch höher als vor der Pandemie, die Zahl der Arbeitsstunden ist niedriger, zudem werden vielerorts noch Kurzarbeitsprogramme genutzt und Löhne staatlich gestützt. Auch ist noch nicht klar, in welchem Maße ausländische Arbeitskräfte in den Dienstleistungssektor zurückkehren werden. Die Dezember-Projektionen sehen bereist einen deutlichen Lohnanstieg vor, die EZB-Unternehmensumfrage lässt für 2022 aber auch noch raschere Lohnzuwächse möglich erscheinen. Allerdings erfasst diese Umfrage nur Großunternehmen.
Lane weist darauf hin, dass Löhne und Preise im Euroraum in Krisenzeiten kaum sinken können. Auf überraschende "relative Preisbewegungen" (also höhere Preise für einzelne Güter) sollte die EZB deshalb nicht überreagieren, indem sie mit ihrer Geldpolitik einen erheblichen Rückgang von Gesamtnachfrage und Aktivität auslöse. Vielmehr solle sie ihren vorübergehenden inflationstreibenden Einfluss tolerieren.
"Da die Engpässe schließlich beseitigt werden, dürfte der Preisdruck nachlassen und die Inflation zu ihrem Trend zurückkehren, ohne dass eine wesentliche Anpassung der Geldpolitik erforderlich ist", schreibt der EZB-Chefvolkswirt. Natürlich müsse die EZB auf mögliche Zweitrundeneffekte achten, doch dürften selbst solche Zweitrundeneffekte schließlich abklingen, es sei denn, die langfristigen Inflationserwartungen werden durch die vorübergehende Phase höherer Inflation dauerhaft verändert.
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February 10, 2022 09:39 ET (14:39 GMT)
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