DJ Dekabank sieht keine Lohn-Preis-Spirale im Euroraum
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Die Dekabank-Volkswirte Christian Melzer und Andreas Scheuerle rechnen nicht damit, dass es im Euroraum demnächst zu einer Spirale aus hohen Inflationsraten und hohen Lohnzuwächsen kommen wird, die mittelfristig zu einer überhöhtem Inflation führen würde. Melzer und Scheuerle weisen in einem Bericht darauf hin, dass zwar in Euro-Ländern wie Deutschland und den Niederlanden enge Arbeitsmärkte hohe Lohnforderungen möglich erscheinen ließen. Ihnen stünden aber Länder mit unterausgelasteten Arbeitsmärkten wie Italien und Spanien gegenüber.
"Wir erwarten bis zum Jahr 2023 eine zunehmende Verspannung des Arbeitsmarktes und einen Hochpunkt der Inflation im laufenden Jahr", schreiben sie. Die Lohnzuwächse sollten dann in diesem Jahr 2,5 Prozent und im kommenden Jahr rund 3 Prozent betragen. Das wäre zwar fast eine Verdoppelung des Lohnwachstums im Vergleich zu 2021, doch wären diese Lohnzuwächse nicht überbordend hoch, und für 2024 deutet sich wieder eine Lohnmoderation auf knapp 2-1/2 Prozent an.
Allerdings unterstellten die makroökonomischen Projektionen der Europäischen Zentralbank (EZB) vom Dezember bereits ein im historischen Vergleich überdurchschnittliches Lohnwachstum von rund 3 Prozent. Sie untermauerten aber den Eindruck, dass Löhne und Preise nicht wieder auf den Trend zurückfallen würden, der vor der Pandemie geherrscht habe.
"Vor diesem Hintergrund sollte die EZB die bislang noch sehr moderate Lohnentwicklung nicht zu dem zentralen Kriterium machen, wenn sie über Zeitpunkt und Tempo der geldpolitischen Normalisierung nachdenkt", schreiben die Ökonomen. EZB-Chefvolkswirt Philip Lane hatte kürzlich gesagt, dass es Lohnabschlüsse von 3 Prozent brauche, um dauerhaft Inflationsraten von 2 Prozent zu bekommen.
Melzer und Scheuerle zufolge behalten Analysten aber auch die nationalen Arbeitsmärkte im Blick, weil der europäische Arbeitsmarkt wegen der Sprachbarrieren wenig durchlässig sei. "So könnten Arbeitnehmer zumindest eine teilweise Kompensation für die Realeinkommensverluste der vergangenen Monate durchsetzen", meinen sie. Solange solche Lohnabschlüsse nicht überbordend hoch ausfielen und Lohnverhandlungen nicht unter der Erwartung auch zukünftig erhöhter Teuerungsraten stattfänden, bilde ein solcher Nachschlag aber nicht unbedingt den Auftakt zu einer Lohn-Preis-Spirale. "Er verzögert jedoch den zu erwartenden Rückgang der Inflation."
Das könnte vor allem für Deutschland zutreffen, wo Unternehmen schon länger Mühe haben, offene Stellen adäquat zu besetzen. Hier ist die Inflationsrate ein integraler Bestandteil der Argumente in den Tariflohnverhandlungen. Als Faustformel für die geforderten Lohnzuwächse gilt bei deutschen Gewerkschaften: Produktivitätsfortschritt plus Inflation.
Dabei orientieren sich nach Aussage der Dekabank-Analysten manche am Zielwert der EZB für die Inflationsrate von 2 Prozent, manche an der Inflationsrate des Vorjahres. "Aktuell führen beide Vorgehensweisen dazu, dass die Lohnentwicklung von der Inflation links überholt wird und damit die Reallöhne sinken", konstatieren sie. Die IG BCE veröffentlicht am Dienstag gegen Mittag ihre Forderungen in der aktuellen Chemietarifrunde, die auch die Pharma-Industrie einschließt.
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February 21, 2022 07:39 ET (12:39 GMT)
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