
DJ ING: Unternehmen bekämpfen Fachkräftemangel vor allem mit Lohnerhöhungen
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Deutsche Unternehmen versuchen nach Aussage von ING-Volkswirten seit Beginn der Corona-Pandemie, den allgegenwärtigen Fachkräftemangel vor allem über Lohnerhöhungen zu bekämpfen. Diese Methode wird ihrer Meinung nach aber langfristig nicht zum Erfolg führen. Carsten Brzeski, Inga Fechner und Franziska Biehl sehen die Lösung vielmehr in einer Mischung aus Umschulung, Fachkräfteimmigration und Automatisierung.
Der Zusammenhang zwischen Arbeitskräfteknappheit und Lohnanstiegen ist laut ING derzeit über alle betrachteten Wirtschaftsbereiche hinweg vorhanden, wenn auch unterschiedlich stark ausgeprägt. So ist er im Bereich Herstellung von Leder, Lederwaren und Schuhen (wo der Personalmangel besonders akut ist) nur gering ausgeprägt. Am deutlichsten zeige sich der Zusammenhang bei der Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, einem Bereich, der bereits seit Jahren mit einem Mangel an Arbeitskraft zu kämpfen habe.
Auch im Dienstleistungssektor insgesamt sei der Zusammenhang zwischen einem Mangel an Arbeitskraft und der Lohnentwicklung seit Ausbruch der Pandemie steiler geworden, wenn auch nicht so deutlich wie in der Industrie. Allerdings lösten höhere Löhne des Problem nach Aussage der ING-Volkswirte nicht: "Im dritten Quartal des Jahres 2021 lagen die Löhne in der Industrie 3 Prozent oberhalb des Vorjahresniveaus, im Dienstleistungssektor stiegen sie um 7 Prozent. Der Fachkräftemangel verschärfte sich dennoch weiter", konstatieren sie.
Teil der Lösung könnte ihrer Ansicht nach der Einsatz von Robotern sein. "Rund 65 Prozent der Berufe mit fachlichen Anforderungen, für die im Jahr 2020 ein Engpass vorlag, weisen eine Automatisierungswahrscheinlichkeit von über 50 Prozent auf - hier könnte das Problem der offenen Stellen also durch Automatisierung zumindest teilweise gelöst werden", schreiben sie.
Das führt Brzeski, Fechner und Biehl unmittelbar zu der Forderung nach mehr Fortbildung. "Automatisierung und Digitalisierung schaffen auch neue Arbeitsplätze, die es in Zukunft zu besetzen gilt." Einer Untersuchung der Bundesagentur für Arbeit zufolge fänden drei von vier zuvor als arbeitslos gemeldete Teilnehmer einer Umschulungsmaßnahme innerhalb von 18 Monaten nach Beendigung der Maßnahme eine sozialversicherungspflichtige Stelle.
Trotz Lohnerhöhungen, Automatisierung und Umschulung wird sich der Fachkräftemangel in Deutschland laut ING in den kommenden Jahren jedoch erst einmal strukturell verschärfen, denn unabhängig von der Pandemie belaste der demographische Wandel den Arbeitsmarkt. "Damit sich das Szenario einer nur leicht schrumpfenden Erwerbsbevölkerung (bis 2060 rund 2 Millionen weniger Erwerbstätige) realisieren lässt, bedarf es einer jährlichen Nettozuwanderung von 300.000 fachlich ausgebildeten Personen", schreiben die Analysten.
Asylsuchende, die in den vergangenen Jahren hauptsächlich aus Syrien, Afghanistan und dem Irak nach Deutschland gekommen seien, hätten oftmals genau die Qualifikationen mitgebracht, die am deutschen Arbeitsmarkt aktuell fehlten.
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February 21, 2022 08:26 ET (13:26 GMT)
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