DJ DIHK: Komplettausfall russischen Gases hätte große Konsequenzen
Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)--Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat vor schweren Folgen für die Wirtschaft im Fall eines vollständigen Stopps russischer Gaslieferungen gewarnt und in einer solchen Situation eine Diskussion über den Umgang mit Industriebetrieben angemahnt. "Eine solche Situation hätte ökonomisch sehr hohe Konsequenzen, und zwar sehr, sehr negative", sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier bei einem Pressegespräch.
Für die Industrieproduktion liefen 25 Prozent der Energiezufuhr über Gas, und Deutschland beziehe bei seinen Erdgasimporten 55 Prozent aus Russland, erinnerte er. Käme es zu einem solchen enormen Energieengpass, werde die Produktion als erstes heruntergefahren. "Es ist festgelegt, dass bei Energieversorgungsknappheit zuerst Produktionsanlagen in der Industrie stillgelegt werden", sagte er. "Also ist die Betroffenheit gerade in der deutschen Industrie, im produzierenden Gewerbe in einem solchen Fall immens hoch."
Deshalb müssten die verschiedenen Interessen noch einmal diskutiert werden, wenn es zu einem Importstopp von Erdgas käme, forderte der DIHK-Außenwirtschaftschef. "Dann müssen wir das neu diskutieren." Manche Unternehmen könne man später nicht wieder einfach hochfahren, man rede dann von deren Zukunft und der der dort Beschäftigten. Unabhängig von der gegenwärtigen Situation seien die Energie- und Rohstoffpreise zusammen mit dem Fachkräftemangel die drängendsten Probleme und ein "Konjunkturhemmer". Eine schnelle Kompensation ausfallender Gaslieferungen durch Transporte von Flüssiggas sah Treier "kurzfristig im Bereich des Unmöglichen".
Treier betonte, die Unternehmen stünden aber vollständig hinter den jetzt ergriffenen Sanktionen gegen Russland. "Obwohl die Sanktionen so breit und so intensiv sind und fast einem Vollembargo gleichkommen, haben wir keine kritischen Stimmen aus der Wirtschaft gehört, die die Sanktionen für falsch oder überzogen halten", erklärte er. "Da gibt es eine breite Unterstützung, dass diese Sanktionen jetzt richtig waren." Jedoch sei es richtig, dass weiter in Russland tätige Unternehmen ihr Geschäft nicht vollends aufgäben. In welchem Maß das Russlandgeschäft weiterbetrieben werden solle, unterliege jetzt aber letztlich dem Primat der Politik. Der DIHK forderte zudem "eine besondere Form der Unterstützung für Unternehmen, um in der Ukraine bleiben zu können.
Nach Angaben des DIHK hat sich die Zahl der in Russland aktiven deutschen Unternehmen gegenüber 2012 nahezu halbiert auf 3.650. Vor Ort seien 280.000 Menschen beschäftigt. In Deutschland stehen den Angaben zufolge insgesamt rund 40.000 Betriebe in Geschäftsbeziehungen mit Russland. In der Ukraine sind laut der Kammerorganisation rund 2.000 deutsche Unternehmen mit 50.000 an den Standorten Beschäftigten vor Ort aktiv. Ein Schwerpunkt seien Automobilzulieferer, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer, Alexander Markus. Zu befürchten sein könnten etwa Lieferverzögerungen bei Kabelbäumen.
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March 03, 2022 06:21 ET (11:21 GMT)
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