
DJ Commerzbank: EZB hebt Zinsen nur wenig an
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Die Europäische Zentralbank (EZB) wird ihren Einlagenzins nach Einschätzung von Commerzbank-Volkswirt Michael Schubert in den nächsten zwei Jahren höchstens auf 1 bis 1-1/2 Prozent anheben. Schubert begründet seine Einschätzung damit, dass die EZB den so genannten realen Gleichgewichtszins, bei dem der Gütermarkt im Gleichgewicht ist und Preisniveaustabilität herrscht, bei rund minus 0,5 Prozent sehe.
"Insgesamt gehen wir davon aus, dass der EZB-Rat bei seinen Entscheidungen implizit einen realen Gleichgewichtszins im Bereich zwischen minus 1 und minus 1/2 Prozent unterstellt", schreibt Schubert in einer Analyse. Addiere man das EZB-Preisstabilitätsziel von 2 Prozent hinzu, ergebe sich, dass aus EZB-Sicht der neutrale (nominale) Leitzins bei 1 bis 1-1/2 Prozent liegen dürfte.
Schubert geht davon aus, dass die EZB ihre Schätzung des Gleichgewichtszinses, auf deren Grundlage sie ihre neue Strategie entwickelt hat, nicht so schnell revidieren wird. Langfristig sei das aber durchaus möglich, weil die empirischen Modelle dies möglicherweise signalisierten, meint er. Volkswirte versuchen, mit solchen Modellen den nicht beobachtbaren Gleichgewichtszins aus verfügbaren Daten zu ermitteln.
Dahinter steht grob die folgende Überlegung: Wenn wie in den vergangenen Jahren der Leitzins an der Untergrenze lag, die Inflation aber unter dem Zweiprozentziel verharrte, dann spricht das dafür, dass der Gleichgewichtszins auch sehr niedrig gewesen sein muss. Die Geldpolitik wirkte dann nämlich nicht expansiv genug, um die Wirtschaft so anzukurbeln, dass die Inflation mittelfristig 2 Prozent erreichen würde. "Im Umkehrschluss bedeutet dies natürlich, dass auch der Schätzwert für den Gleichgewichtszins nach oben driftet, wenn sich die Inflation bei Werten um 2 Prozent einpendelt oder sogar darüber liegt", kalkuliert Schubert.
Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com
DJG/hab/smh
(END) Dow Jones Newswires
March 16, 2022 11:18 ET (15:18 GMT)
Copyright (c) 2022 Dow Jones & Company, Inc.