DJ EZB/Holzmann: Inflationsbekämpfung hat Priorität
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) ist nach Aussage von EZB-Ratsmitglied Robert Holzmann derzeit stärker über die Inflationsentwicklung besorgt als über die Eintrübung der Wachstumsaussichten. In einem Interview mit der Börsen-Zeitung sagte der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), zwar verlaufe die Wirtschaftsentwicklung im Euroraum nicht mehr entsprechend dem im März veröffentlichten Basisszenario des EZB-Stabs, doch sehe er trotzdem keinen Grund dafür, die für Sommer signalisierte Beendigung der Nettoanleihekäufe hinauszuschieben. Holzmann sprach sich zudem für eine Anhebung des Bankeinlagenzinses bis Jahresende auf 0,00 (derzeit: minus 0,50) Prozent aus.
"Für uns ist die zu hohe Inflation ganz sicher die Top-Priorität auf unserer Agenda", sagte Holzmann. Die Menschen spürten die Inflation täglich bei ihren Einkäufen und bei allem, was sie täten. "Die Verringerung des Wirtschaftswachstums ist für sie nicht so direkt spürbar, auch weil der Arbeitsmarkt in Europa immer noch sehr stark ist", fügte er hinzu.
Holzmann zufolge folgt die Wirtschaft inzwischen mehr dem so genannten "adversen" Szenario, bei dem das Wachstum im Jahr 2022 1,2 Prozentpunkte geringer ausfällt und voraussichtlich rund 2,5 Prozent betragen wird. "Nach aktuellem Stand erwarten wir weder eine Rezession noch eine wirtschaftliche Stagnation", sagte Holzmann. Das Szenario, von dem die EZB aktuell ausgehe, sei auch weit entfernt von einer Stagflation.
Holzmann sieht aber das Risiko, dass die Inflation höher als vom EZB-Stab prognostiziert steigt, weil die Lieferkettenproblematik und die Folgen des Ukraine-Kriegs unterschätzt worden seien und vielleicht noch immer unterschätzt würden. Er hält aber andererseits einen mittelfristigen Rückgang der Inflation durchaus für möglich. Das für gebe es "gute Argumente". "Die Energiepreise dürften von dem jetzigen Höhepunkt wieder zurückgehen, zumal bei hohen Preisen Investitionen in die Energieerzeugung attraktiver werden - was das Angebot erhöht und die Preise senken sollte", sagte der OeNB-Gouverneur.
Zudem belastet die hohe Inflation die Realeinkommen, so dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nachlasse - was die Preise ebenfalls dämpfe. Hinzu komme, dass sich die Inflationserwartungen immer noch im Bereich des EZB-Ziels von 2 Prozent bewegten. "Es gibt bislang keine Entankerung der Inflationserwartungen. Das ist eine gute Nachricht. Aber wir dürfen uns darauf nicht verlassen. Wir müssen absolut wachsam sein." Die im Herbst anstehenden Lohnrunden würden eine "Bewährungsprobe".
Holzmann sieht keinen Grund dafür, die im März signalisierte Beendigung der Nettoanleihekäufe im September zu verschieben. "Mein Eindruck ist, dass diese Einschätzung von einem nicht unbeträchtlichen Teil meiner Ratskollegen geteilt wird", sagte er. Die Entscheidung werde in den nächsten Monaten fallen, spätestens im Juni. Er plädierte außerdem für eine Anhebung des Einlagenzinses auf 0,00 Prozent bis Jahresende. Von einer "Normalisierung" ihrer Geldpolitik wäre die EZB aber auch dann noch weit entfernt, da der neutrale Zins bei 1,00 bis 1,50 Prozent liege.
Holzmann wies zudem darauf hin, dass ein zunehmendes Auseinanderlaufen der Geldpolitik von EZB und Fed ein Inflationsrisiko darstelle. "Wenn die Fed jetzt ihren Zins deutlich anhebt, wird das nicht ohne Einfluss auf den Euro-Wechselkurs bleiben", sagte er. Die EZB habe kein Wechselkursziel, aber wenn der Euro deutlich abwerten sollte, importiere der Euroraum noch mehr Inflation. "Bislang sind die Bewegungen aber noch vergleichsweise gering, auch im historischen Kontext", fügte er hinzu.
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March 29, 2022 09:11 ET (13:11 GMT)
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