DJ Lane: EZB muss Kapitalflucht aus einzelnen Ländern verhindern
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Die Europäische Zentralbank (EZB) muss nach Aussage ihres Chefvolkswirts Philip Lane bereit sein, einen sich selbst beschleunigenden Kapitalabfluss aus einzelnen Euro-Ländern zu verhindern. Lane sagte bei einer Vorlesung in Paris laut veröffentlichtem Redetext, ohne eine aktive Marktstabilisierung durch die Zentralbank könne das Ausmaß einer Flucht in sichere Häfen ungerechtfertigte Ausmaße annehmen, weil dabei auch immer Elemente einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wirkten.
"In einer Währungsunion, in der es keinen gemeinsamen sicheren Vermögenswert gibt, hat die Flucht in Sicherheit angesichts der hohen Substituierbarkeit zwischen den nationalen Finanzsystemen, die durch das Fehlen eines Währungsrisikos gegeben ist, eine geografische Dimension", sagte Lane. Ein klassisches Beispiel aus der Geschichte des Euroraums ist die Kapitalflucht aus Griechenland nach Deutschland und Frankreich 2011.
"Das Wesen solcher Episoden besteht darin, dass eine erhöhte Risikoaversion nicht nur eine Neubewertung der auf den Fundamentaldaten basierenden Risiken mit sich bringen, sondern auch einen sich selbst beschleunigenden Rückzug in so genannte sichere Häfen auslösen kann", sagte Lane. Beschleunigt würde eine solche Flucht durch die Annahme, dass andere Anleger sich ebenfalls für die gleiche geografische Umverteilung entscheiden könnten.
Unter Geldpolitikern, Marktteilnehmern und Analysten gibt es die Befürchtung, dass das bevorstehende Ende der Nettoanleihekäufe und die danach zu erwartenden Zinserhöhungen zu einem unterschiedlich starken Anstieg der Staatsanleiherenditen der Euro-Länder führen werden. Werden die so genannten Spreads zu groß, würde das die Finanzierungsbedingungen einiger Länder stärker beeinträchtigen als in anderen Ländern.
Die EZB könnte das als Anzeichen dafür interpretieren, dass ihre Geldpolitik nicht überall gleich wirkt. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte kürzlich gesagt, die EZB könne einer solchen Entwicklung entgegenwirken, in dem sie bei der Wiederanlage der Tilgungsbeträge von unter dem PEPP-Programm erworbenen, fällig gewordenen Anleihen flexibel agiere. Allerdings müsste die Spread-Ausweitung ihre Ursache in der Corona-Pandemie haben.
Lagarde sprach aber auch explizit die Möglichkeit an, dass die EZB neue Instrumente zur Begrenzung der Spreads entwickelt. Manche Ökonomen erwarten, dass sie dazu ein neues Kaufprogramm entwickeln wird, dass der Bewahrung der Finanzstabilität dienen soll.
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March 31, 2022 06:25 ET (10:25 GMT)
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